Von Pierre Jarawan habe ich bereits das Debüt Am Ende bleiben die Zedern sowie den Zweitling Ein Lied für die Vermissten gelesen – und zwar mit Begeisterung. Meine Freude war deswegen besonders groß, als der Berlin Verlag für das Frühjahr 2025 das Erscheinen von Jarawans drittem Roman mit dem Titel Frau im Mond ankündigte. Erzählt werden soll die Familiengeschichte von Lilit el Shami, genauer genommen die Geschichte ihrer Großeltern. Der Großvater Maroun kam einst mit seiner Mutter und seinem Onkel aus dem Libanon nach Kanada, wo er durch Fritz Langs Film „Frau im Mond“ seine Faszination für den Weltraum und die Raketenwissenschaft entdeckte und fortan sein Leben – wenn auch auf Umwegen – dem Raketenbau widmete. Großmutter Anoush wurde hingegen als Kind von einem kanadischen Pfarrerspaar adoptiert, nachdem sie den Genozid an den Armeniern überlebt hatte und in einem libanesischen Waisenhaus landete. Sie heiratet Maroun, bekommt Lilits Mutter Dana, bleibt aber für ihre Enkelin (sowie deren Zwillingsschwester Lina) aufgrund des frühen Todes lange Zeit eine Unbekannte. Erst im Jahr 2020 begibt sich Lilit, gefangen in einer Schaffenskrise als Dokumentarfilmerin, auf Spurensuche in den Libanon und versucht die Vergangenheit ihrer Großeltern, vor allem aber die ihrer Großmutter, zu ergründen.
Pierre Jarawan legt mit knapp 500 Seiten einen ordentlichen Wälzer vor, der – so erhoffte ich mir – eine atmosphärische und spannende Geschichte enthalten würde. Atmosphäre hat der Roman tatsächlich, doch die Spannung blieb lange Zeit auf der Strecke. Tatsächlich habe ich mich im ersten Drittel des Romans über viele Seiten leider arg gelangweilt; erst mit Lilits Reise in den Libanon und dem klaren Ziel, mehr über ihre Großmutter und ihr Schicksal als Überlebende zu erfahren, erfährt die Geschichte an Tempo und auch an Erzählmotivation. Vorher ist die Erzählung mehr ein Spiegelbild Lilits künstlerischer Krise: Da sich nach ihrem Filmdebüt noch keine Idee für ein Anschlussprojekt ergeben hat und sie nicht recht weiß, wohin sie mit sich soll, irrt sie auch als Erzählerin durch die verschiedenen Fäden ihrer Familiengeschichte. So schraffiert sie das Leben ihrer Eltern Dana und Jules bis zu deren frühen Tod, widmet sich der Familienlegende ihres Großvaters, der am 5. August 1986 eine Rakete vom Dach seines Seniorenheims zündete, springt in seine Kindheit zurück und reflektiert zugleich die eigene Situation als Untermieterin bei ihrer Schwester.
Während man das Sprunghafte der Erzählung noch verzeihen kann und mir bereits aus den anderen Romanen Jarawans vertraut war, sind die ständigen Reflexionsmomente meiner Meinung nach ein erheblicher Störfaktor in der Geschichte. Viel zu oft geht es um das Wie einer Erzählung, um den Unterschied oder auch die Gemeinsamkeiten von Literatur und Film; die eigentliche Story geht dabei unter bzw. wird so häufig unterbrochen, dass es ihr an Fokus fehlt. Dies wird immer besonders dann deutlich, wenn Jarawan im zweiten und dritten Teil einen wirklichen Erzählfluss erzeugen kann, wenn nicht eingeordnet und kommentiert wird, sondern sich die Figuren und ihre Emotionen durch ihre Handlungen tatsächlich offenbaren und den Leser:innen nahekommen. Jarawan kann definitiv erzählen – nur leider tut er das in Frau im Mond viel zu selten.
In den starken Erzählmomenten gehen Inhalt und Stil hervorragend miteinander einher. Jarawan schreibt durchaus opulent und bisweilen schwerfällig, was aber zum Ton und zur Stimmung dieser Familiengeschichte passt, die zwar auf dem ersten Blick leichtfüßig erzählt wird, die schweren Schicksalsschläge der einzelnen Familienmitglieder dabei aber nicht überdecken kann und will. In den schwachen Momenten hat der Erzählstil jedoch tatsächlich etwas Klischeehaftes und Plakatives – da hilft es auch nicht, wenn Lilit diesen Umstand auf einer Metaebene aufzeigt.
Insgesamt war mir Frau im Mond zu deutend und dabei auch zu bevormundend. Zu gerne hätte ich Anoush Geschichte – die ja wiederum eng mit der spannenden Historie des Libanons verknüpft ist – selber erfahren, anstatt dass mir Lilit als vermeintlich zuvorkommende Erzählerin alles erläutert und interpretiert. Dann hätte mir der ausufernde Erzählstil auch mehr Spaß gemacht; so besaß die Geschichte auf 500 Seiten immer wieder zähe Momente, über die auch die Figuren nicht hinwegtragen konnten, die insgesamt zu blass, bisweilen sogar schablonenhaft, gezeichnet waren. Frau im Mond ist für mich so leider Jarawans schwächster Roman, dem ich aufgrund meiner Sympathie für den Autor und meines Wissens um sein eigentliches Können sehr gnädige 3 Sterne gebe.