Rezension zu "Edward VIII (Penguin Monarchs): The Uncrowned King" von Piers Brendon
Andreas_OberenderSeit 2014 bringt der Penguin-Verlag eine Buchreihe heraus, die "Penguin Monarchs". Es handelt sich um Kurzbiographien aller englischen und britischen Könige und Königinnen seit dem 11. Jahrhundert. Die Reihe beginnt mit den letzten angelsächsischen Herrschern vor der normannischen Eroberung. Auch für Oliver Cromwell ist ein Band vorgesehen. Mittlerweile sind zwei Drittel der 45 geplanten Bände erschienen. Die Bücher sind kleinformatig (13x18,5 cm) und umfassen maximal 150 Seiten. Sie enthalten farbige Abbildungen, Stammtafeln und kommentierte Literaturhinweise. Auch wenn eine entsprechende Angabe fehlt, ist davon auszugehen, dass sich die Bände an historisch interessierte Laien richten, die sich rasch über das Leben der englischen Monarchen informieren wollen. Als Konkurrenz zur renommierten Biographienreihe "Yale English Monarchs", deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch in Frage kommen, sind die "Penguin Monarchs" nicht gedacht. Interessant ist die Reihe dennoch, denn der Verlag hat zahlreiche bekannte Historikerinnen und Historiker als Autoren gewonnen. Damit ist sichergestellt, dass sich die einzelnen Kurzbiographien auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegen.
Da die Reihe auf Vollständigkeit angelegt ist, erhalten auch jene Könige einen Band, die nur für kurze Zeit regierten. Eduard VIII. (1894-1972) trug die Krone lediglich elf Monate, und das auch nur im übertragenen Sinne, denn er dankte im Dezember 1936 ab, ohne gekrönt worden zu sein. Er verzichtete auf den Thron, um die zweifach geschiedene Amerikanerin Wallis Warfield Simpson (1896-1986) heiraten zu können. Allein durch seine Abdankung ist Eduard VIII. der Nachwelt in Erinnerung geblieben. In seiner kurzen Regierungszeit vollbrachte er nichts, das aus heutiger Sicht erwähnenswert wäre. Seine Landsleute betrachteten ihn als Deserteur, der sein persönliches Glück über die Interessen des Königshauses und der britischen Monarchie gestellt habe. Heute ist es Gang und gäbe, dass Sprösslinge europäischer Königshäuser Ehen mit bürgerlichen Partnern schließen. Doch in der Zwischenkriegszeit galt in allen Herrscherhäusern Europas noch die eiserne Regel, dass Prinzen, vor allem Thronfolger, standesgemäße und ebenbürtige Ehefrauen zu wählen hatten. Wer eine bürgerliche Frau oder eine Frau von einfachem Adel heiratete, der musste auf sein Thronrecht verzichten. Als Beispiele seien Prinz Wilhelm von Preußen (1906-1940), ältester Sohn des Kronprinzen Wilhelm, und der Infant Alfons von Spanien (1907-1938), der älteste Sohn König Alfons' XIII., genannt. Es konnte für Eduard VIII. keine Überraschung sein, dass sich die britische Regierung und die Anglikanische Kirche gegen die Heirat mit Mrs. Simpson aussprachen. Vor die Entscheidung gestellt, zwischen der Krone und seiner Geliebten zu wählen, entschied sich der König für den Thronverzicht.
Obgleich Eduard VIII. in der britischen Geschichte keine markanten Spuren hinterließ, hat er immer wieder das Interesse von Historikern und Sachbuchautoren auf sich gezogen. In der Literatur über den Kurzzeitkönig und nachmaligen Herzog von Windsor stehen sich zwei Deutungsmuster gegenüber: Viele Autoren und Biographen zeichnen ein negatives Bild von Eduard als Prinz von Wales und Monarch. Der Thronfolger und spätere König sei faul und vergnügungssüchtig gewesen, charakterschwach, intellektuell unbedarft und politisch ahnungslos. Den Widerstand gegen seine Heirat habe er genutzt, um sich durch Abdankung den Belastungen und Zumutungen des Herrscheramtes zu entziehen. Es gibt aber auch Autoren, die in Eduard VIII. das Opfer einer Verschwörung sehen. Das konservative Establishment habe den König loswerden wollen. Als Gründe werden wahlweise Eduards vermeintlich "progressive" politische Einstellung oder seine Bereitschaft zur Verständigung mit Hitler-Deutschland genannt. Piers Brendon, der Verfasser der vorliegenden Kurzbiographie, steht im Lager jener Autoren, die Eduard als Menschen negativ beurteilen und seinen Thronverzicht nicht als Verlust für die britische Monarchie betrachten. Brendons kritische, mitunter unfreundliche Haltung gegenüber dem König ist stark dem wenig schmeichelhaften Charakterbild verpflichtet, das Frances Donaldson 1974 in ihrer exzellenten, auch heute noch lesenswerten Biographie zeichnete. Allen Versuchen, Eduard VIII. zum Opfer einer Intrige zu stilisieren, erteilt Brendon konsequent eine Absage. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass der König die Hauptschuld am Drama des Jahres 1936 trug, auch wenn er später gerne behauptete, "dunkle Kräfte" hätten ihn "um die Krone gebracht" (S. 95). Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die britische Monarchie 1936 ein Dreikönigsjahr erlebte?
Brendon zeigt Eduard VIII. als Menschen, dem ungünstige charakterliche Anlagen und eine fehlerhafte Erziehung zum Verhängnis wurden. Eduard wuchs in einer Familie auf, in der emotionale Kälte und Geistlosigkeit herrschten. Sein Vater, König Georg V., war ein ungebildeter, bornierter Pedant, der die Erziehung seiner Kinder sträflich vernachlässigte. Als Prinz von Wales erhielt Eduard keine Ausbildung, die ihn angemessen auf seine spätere Rolle als konstitutioneller Monarch hätte vorbereiten können. Als Eduard Anfang 1936 seinem Vater auf dem Thron folgte, hatte er sich noch nie mit politischen Fragen beschäftigt. In den 1920er Jahren hatte er als Repräsentant des Königshauses einige ausgedehnte Reisen durch das Britische Empire unternommen. Davon abgesehen ging Eduard bis zum Thronwechsel keiner ernsthaften Beschäftigung nach. Er führte das Leben eines Playboys und vertändelte seine besten Jahre mit frivolen Vergnügungen und dem typischen Zeitvertreib des europäischen Hochadels – Reiten und Jagen. Träge, verwöhnt und undiszipliniert, strebte er zeitlebens nach einem Maximum an Komfort und einem Minimum an Arbeit. Eduard entwickelte kein Pflichtgefühl und kein Verantwortungsbewusstsein. Noch als Vierzigjähriger legte er eine irritierende Unreife und Infantilität an den Tag. Viele Höflinge und Politiker bezweifelten, dass er seine Rolle als König würdevoll und kompetent ausüben werde. Alle düsteren Vorahnungen bestätigten sich, als Eduard nach dem Thronwechsel seinen Willen kundtat, Mrs. Simpson zu heiraten, obwohl ihm klar sein musste, dass eine Frau mit zwei lebenden Ex-Männern als Gemahlin eines britischen Königs untragbar war. Da niemand ihn von seinem Entschluss abbringen konnte, weder seine Familie noch die Regierung, führte kein Weg an der Abdankung vorbei.
Als Herzog von Windsor führte der Ex-König ein Leben in Luxus und Langeweile. Einige Monate nach der Abdankung heiratete er Mrs. Simpson. Seinen Bruder, der als Georg VI. den Thron bestieg, überlebte er um zwanzig Jahre. Das Verhältnis zu seiner Familie war nachhaltig geschädigt. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg residierten der Herzog und seine Frau hauptsächlich in Frankreich. Wie Brendon betont, kann keine Rede davon sein, dass die Windsors ernst zu nehmende Sympathien für das Dritte Reich gehegt hätten. Ihr Besuch bei Hitler im Herbst 1937 war sicherlich unklug, zugleich aber auch harmlos. Der Herzog und die Herzogin hatten kein Interesse an Politik oder überhaupt an irgendeiner sinnvollen Betätigung. Einträchtig lebten sie ziellos in den Tag hinein, und das über Jahrzehnte hinweg. Der Prunk ihrer Residenzen stand in auffälligem Kontrast zur Leere und Ödnis ihres Daseins. Aus heutiger Sicht erscheint Eduard VIII. nicht als tragische Figur, sondern eher als lächerliche Gestalt. Es wäre vollkommen abwegig, den König zum mutigen Tabubrecher zu verklären, der danach gestrebt habe, die angestaubte britische Monarchie zu modernisieren. In der Zwischenkriegszeit verehrten die Briten ihr Königshaus als Hort der Stabilität und Respektabilität. Eduard war nicht bereit, den Ansprüchen und Erwartungen zu genügen, die seine Untertanen an ihn richteten. Sein Ansinnen, eine zweifach geschiedene Frau zu heiraten, kam einem Sakrileg gleich. Der König durfte daher nicht auf Verständnis hoffen. Die Hartnäckigkeit, mit der er an seinem Entschluss festhielt, erinnert an den Egoismus eines ungebärdigen Kindes, das um jeden Preis seine Bedürfnisse befriedigen will. Ein Mann wie Eduard VIII. war auf dem britischen Thron fehl am Platz. Seine Abdankung war daher für alle Beteiligten das Beste, für ihn selbst, die Königsfamilie und das britische Volk.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Mai 2017 bei Amazon gepostet)