Rezension zu "Bauanleitung für eine neue Mutter" von Pola Polanski
Die Autorin entführt uns in den Riss der Realität. Aus unserem Alltagsleben entweicht die Wirklichkeit wie die Atemluft aus einer Raumstation. Nur im Urlaub - Lanzarote, Korfu, Lanzarote - schrumpfen die widrigen Umstände auf Normalmaß, entpuppten sich die Dämonen, die unsere Zivilisation ausmachen, als Hirngespinste. (Warte nur, Lümmel, bis du wieder zu Hause in Stuttgart bist!)
Aber es stimmt nicht. Würden wir alle wie die Autorin ständig aufschreiben, was uns bewusst oder unbewusst durch den Kopf geht, wach oder im Traum, wären längst unzusammenhängende Fetzen, verwesende Ängst, sinnlose philosophische Schlagworte an die Stelle der Welt und ihrer Wahnehmung getreten - Geräusche statt Leben. Nur ist dies kein phantastischer Roman, sondern ein ungeordnetes Tagebuch 2022, und wer die Autorin kennt, weiß, dass dies wirklich einfach nur ihr Tagebuch ist - Schwundstufe ihrer Weltwahrnehmung.
Nur IHRER Weltwahrnehmung? Wer von uns noch einen festne Lebenszusammenhang hat und ihn gutheißt, werfe den ersten Stein! Doch halte inne! Bist du sicher, dass es die Welt, in der du zu leben glaubst, wirklich gibt, dass sie nicht nur ein Produkt der Medien, deiner Ängste oder deines Aberglaubens ist? Lass die Erläuterungen zwischen deinen Wahrnehmungen weg. Sie wurden dir eingeredet. Nur Phänomenologie ist erlaubt - und zwar ohne nach dem Sein des Wahrgenommenen zu fragen.
Wenn es den Ukraine-Krieg gibt, wie er in der Berichterstattung gezeigt wird, gibt es dann noch ein beschauliches Künstlerinnenleben in Stuttgart oder ein sich-Verstecken als Verleger in Gelsenkirchen? Wenn der Lebensgefährte an einem heute doch lächerlichen Darmkrebs stirbt, macht es dann überhaupt noch Sinn, sich mit guten Menschen zu umgeben, oder öffnet man nicht besser alle Fenster und lässt der Wilden Jagd der Fraktale freien Lauf?
Oder könnte ich mir einfach einen Roboter kaufen, der meinen kindlichen und späteren Bindungsstörungen entgegentritt und sie ungeschehen macht, mich endlich über die Realität hinaus auch vom Schmerz meines Daseins erlöst? In einer Epoche der Künstlichen Intelligenz sicher eine interessante Frage. Die Erzählerin hat es versucht, aber der Mutterroboter entpuppte sich als noch schlimmer als die leibhaftige Mutter und explodiert am Ende glücklicherweise. Hoffentlich werden wir die Künstliche Intelligenz auch in Wirklichkeit so einfach wieder los.