Was lesen wir nach dem Lockdown, wenn alles langsam wieder öffnet? Vielleicht Polly Adlers Buch als Wegweiser in eine Zukunft, in der alte Gesprächs-, Schreib- und andere Kulturen ein Wiederbelebung verdienen.
Wäre es offen, könnte man dieses Buch perfekt im Kaffeehaus lesen – in den Ecksessel gelehnt bei einer Tasse Kaffee, umgeben vom Summen der miteinander plaudernden Menschen um sich herum. So hingegen, allein aufs heimische Sofa verbannt, macht das Lesen immer noch Spaß, doch es ist, als spaziere man durch ein Spiegelkabinett, das das eigene Bild in immer neuen Varianten zurückwirft.
Schön anzusehen und anzufassen und vergnüglich zu lesen, ist Adlers Erzählung vom süßen Offline-Dasein ein Erinnerungsstück, das wenig Neues schildert, aber das Verlorengegangene oder -geglaubte gekonnt in den Fokus rückt. Wer waren wir, was haben wir im analogen Leben genossen (und erlitten), und wer sind wir heute in unseren kleinen Bildschirm-Profibildern und weltweiten Insta-Storys? Überraschenderweise hat just die Pandemie, in die der Erscheinungstermin von „Echt. Jetzt!“ mitten hinein fiel, dieses ein wenig überholt und manches seiner Spiegelbilder verwischt. Das Analoge ist wieder attraktiv geworden, sogar für Teenager, die vorher dachten, zocken könnten sie, ohne dass es ihnen je zuviel würde. Menschen, die selten ein Theater betraten, vermissen live Opernaufführungen und Konzerte. Verwandte, die sich früher zum jährlichen Geburtstagsanruf verpflichtet fühlten, fiebern nun der Erlaubnis für einen größeren Familienbesuch entgegen. Adlers Diagnose ist treffsicher und unterhält mit wunderbar spitzen Vergleichen und genussvollen Wortschöpfungen; doch das Heilmittel, der Überdruss einer Überdosis am Digitalen, scheint schon da zu sein. Selten wurde – subversiv – so viel so intensiv analog unternommen, wo immer es ging. Spaziergänge sind in, Menschen kochen wieder, Freunde treffen sich im Freien und zu zweit zu Haus, statt Partys gibt es mehr persönliche, intime Gespräche.
Und doch lohnt es, das Buch über „unser schönes analoges Leben“ auf dem Couchtisch zu behalten. Denn wenn alles wieder geht, mag genau das neu Erworbene schnell erneut in Vergessenheit geraten. Wie viele der von Adler zitierten wunderbaren Autoren, Maler, Musiker und Lebenskünstler (darunter ihre eigene Tochter), deren kluge Worte in all ihrer Vorläufigkeit den Charme des Buches und dessen ausmachen, was es beschreibt: alte Kulturtechniken wie Briefeschreiben, für andere kochen, Langeweile und Stille genießen oder ohne Termin im Kaffeehaus sitzen und sich im Gespräch mit einer Freundin verlieren.