Rezension zu "Das Ende des Alterns" von Prof. Dr. David A. Sinclair
So könnte man den Verlauf meiner Eindrücke von diesem sehr ausführlichen Buch schildern. Kaum ein Leser wird wohl annehmen, dass er demnächst nicht mehr altern würde. Im Untertitel wird schließlich auch auf die "revolutionäre Medizin von morgen" verwiesen. Und dass der Autor wirklich glaubt, das Ende des Alterns würde irgendwann kommen, kann man bezweifeln. Ihm geht es erst einmal darum, diesen Prozess hinauszuschieben. Sieht man sich die statistisch steigende Lebenserwartung im vergangenen Jahrhundert in den westlichen Ländern an, so lässt sich leicht feststellen, dass damit die Erkenntnisse von David A. Sinclair und seiner zahlreichen Kollegen bisher nichts zu tun haben.
Sinclair glaubt jedoch, dass sich die höchstmögliche Lebenserwartung von Menschen in näherer Zukunft mit diesen Forschungsergebnissen bis auf 150 Jahre steigern lässt. Wie das genau gehen kann, weiß er nicht. Und das ist nicht der einzige Kritikpunkt an diesem Buch oder besser an seinem hochtrabenden Titel. Wirklich faszinierend sind lediglich die Forschungsergebnisse auf denen dieses recht spekulative Werk basiert.
Tatsächlich nämlich haben Sinclair und seine Kollegen den Mechanismus der Alterung mehr oder weniger entschlüsselt. Vielleicht haben sie auch nur einen ersten Schritt gemacht, und das Ganze wird später in einem größeren Rahmen noch viel verständlicher. Jedenfalls erläutert Sinclair zunächst seine Informationstheorie des Alterns. Sie lässt sich grob folgendermaßen zusammenfassen: Mit zunehmendem Lebensalter kommt es immer häufiger zu Brüchen in den DNA-Strukturen der Zellen. Unser Körper verfügt über einen Reparaturmechanismus, der vom Epigenom gesteuert wird. Das ist ein System, welches die Genexpressionen in einer Zelle ohne Veränderungen der DNA verändern kann. So werden beispielsweise bestimmte Gene ein- oder ausgeschaltet. Nimmt die Anzahl der DNA-Brüche durch schlechte Lebensführung, Umwelteinflüsse oder anderes zu, dann kommt es irgendwann zu einer Überforderung dieses Reparatursystems, was schließlich dazu führt, dass Zellen ihre Identität verlieren und so Chaos in der Gewebestruktur entsteht. In der Folge werden wir krank, weil die Organe nicht mehr voll funktionsfähig sind.
Sinclair schlussfolgert, dass die eigentliche Krankheit das Altern ist, was sich nur verschieden ausdrückt, aber eigentlich immer auf dem Verlust der Zellidentität beruht. Bekämpft man nämlich eine im Alter ausgebrochene Krankheit erfolgreich, dann kommt es bald zu einem Ausbruch einer anderen Krankheit, einfach weil die Schädigungen bereits überall sind. Wenn man also diesen Prozess aufhalten will, muss man die Alterung verhindern oder hinauszögern. Wie das genau gehen soll, weiß Sinclair nicht. Im Text findet man in der ersten Hälfte zahlreiche Forschungsergebnisse, die inzwischen recht genau die biochemischen Prozesse in den Zellen erläutern. Und man findet auch Angaben zu Tierversuchen (meist mit Mäusen), in denen man nachweisen konnte, dass bestimmte pflanzliche Wirkstoffe den Alterungsprozess erheblich hinauszögern.
Darüber hinaus ist es inzwischen gelungen, bereits abgestorbenes Gewebe neu wachsen zu lassen, etwa Nervenzellen. Man kann also Informationen, die im Körper gespeichert sind, aufrufen und ihn dann dazu bringen, bestimmte Funktionen wieder herzustellen. Sinclair geht darauf sehr ausführlich ein und setzt dabei beim Leser wenigstens rudimentäre Kenntnisse der Biologie voraus. Für wenig vorgebildete Leser wird dieses Buch schnell langweilig werden, weil sie von der Fülle ihnen mehr oder weniger unverständlicher Ausführungen geistig erschlagen werden. Ich fand den Text im ersten Drittel des Buches faszinierend, weil es Sinclair dort aus meiner Sicht gut gelingt, seine Theorie und ihre Konsequenzen darzulegen. Daraus resultiert meine Bewertung des Buches.
Danach allerdings beginnt der spekulative Teil, der ein weiteres Drittel des Buches einnimmt. Am Ende schließlich wird es immer geschwätziger. Dort nämlich widmet sich Sinclair den Folgen einer möglichen Lebensverlängerung vieler Menschen. Ich finde es sehr lustig, dass ein Biologe, der sehr genau weiß (und es in diesem Buch auch beweist), wie schnell und unerwartet sich Dinge verändern können, etwa durch unerwartete Entdeckungen, technische Innovationen oder Katastrophen, plötzlich soziologische Überlegungen präsentiert, die nur spekulativen Charakter besitzen. Mir ist es immer wieder ein Rätsel, wie Leute, die sich mit komplexen System beschäftigen, in diesem Fall dem menschlichen Körper, vermuten können, dass das Herumschrauben an einem Parameter des Systems, die anderen unverändert lässt. Eine solche (immer wieder zu beobachtende) Herangehensweise beweist lediglich die Beschränktheit des menschlichen Vorstellungs- und Denkvermögens. Mal abgesehen von fehlender Demut und intellektueller Überheblichkeit.
Das passiert Sinclair übrigens nicht nur bei seinem selbstverliebten soziologischen Geschwätz, sondern auch auf seinem Fachgebiet. Er glaubt nämlich beispielsweise an die Genialität vom Menschen genetisch veränderter Lebensmittel und hat überhaupt kein Verständnis für die Ablehnung solcher Manipulationen in Europa. Das ist zwar nur eine Randnotiz in diesem Buch, doch sie zeigt den Übermut, der bei Sinclair oft im Spiel ist. Ein menschlicher Eingriff in die Evolution und das äußerst komplexe Natursystem ist keine Kleinigkeit und nicht rückgängig zu machen. So etwas vorzuschlagen, obwohl wir die Folgen nicht überblicken können, ist völlig verrückt.
Wenn man beim Lesen der letzten zwei Drittel nicht die Nerven verloren hat, dann liegt das sicher daran, dass man immer noch darauf hofft, dass Sinclair irgendwann zum Besten gibt, was er denn nun eigentlich tut, um sein Leben zu verlängern. Erst kurz vorm Ende des Buches kommt es dann zum Schwur. Und der ist ernüchternd. Da heißt es: "Ich weiß nicht einmal genau, ob es für mich das Richtige ist. … Auch wenn die Erprobung an Menschen mittlerweile läuft, gibt es im Moment noch keine Behandlungsverfahren oder Therapien für das Altern, die eine strenge, langfristige Erprobung durchlaufen haben; deshalb verfügen wir auch noch nicht über ein umfassendes Verständnis der möglichen Folgen und Konsequenzen." So viel zu Sinclairs anfänglicher Großspurigkeit.
Er rät erstens zu mehr Bewegung, einer Reduzierung der Nahrungsmenge, die darüber hinaus möglichst auf tierische Bestandteile verzichten sollte (die Begründung dafür ist einleuchtend und biochemisch), zu Verzicht auf Strahlung, wann immer dies möglich ist, und eine kühle Umgebung. Stresst man nämlich den Körper mit temporärem Nahrungsentzug oder Kälte, dann schaltet sich ein Überlebensmechanismus der Zellen ein, der die Alterung hinauszögert. Zweitens nimmt Sinclair täglich verschiedene Nahrungsergänzungen zu sich, die bei Mäusen lebensverlängernd wirken, zum Beispiel Resveratrol, das man aus Rotweinen kennt. Die Dosierungen sind dabei extrem hoch und entsprechen nicht den Angaben bei solchen in Deutschland vertriebenen Mitteln, was man leicht herausbekommen kann, wenn man diese Stoffe in eine Suchmaschine eingibt.
Mit diesen Bekenntnissen schließt sich dann der Kreis des Spekulativen. Immerhin hat ein solcher Mix bei Sinclairs Vater ohne sichtbare Nebenwirkungen enorm gewirkt, wenngleich das eine etwas magere Statistik ist.