Schwungloser Rückblick statt tatkräftiges Voranschreiten
von LittleHoneybee
Kurzmeinung: Die leider weniger schwungvolle, belebte Version der Geschichte von Harold Fry,
Rezension
Hunderte Kilometer, Dutzende Orte und Begegnungen.. - die Reise, auf die Harold Fry sich begab, war beschwerlich, aber auch erlebnis- und erkenntnisreich. Eine ebenfalls tief gehende Reise beschreitet währenddessen auch Queenie Hennessy - im Kopf. Bei "Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry" handelt es sich nicht um eine Fortsetzung von Harolds Geschichte. Stattdessen erfährt der Leser, wie Queenie die Zeit während Harolds Reise erlebt hat. Ans Licht kommt dabei ein Geheimnis, dass sie all die Jahre vor Harold bewahrt hat. Im Angesicht ihres bevorstehenden Todes möchte sie es endlich offenbaren.
Wer Harolds Geschichte kennt, weiß, dass er auf seiner Reise viel über sich lernt, mit Vergangenem abschließt, Ballast abwirft und mit sich ins Reine kommt. Insbesondere, was die Beziehung zwischen ihm und seinen Eltern sowie seiner Frau Maureen angeht, die nach dem Selbstmord seines Sohnes David zerklüftet war.
Was Harold nicht wusste, ist, dass Queenie David kannte. Und nicht nur das: sie war tatsächlich eine besondere Freundin für ihn. Angeregt durch eine Nonne in dem Hospiz, in dem Queenie schwerkrank ihren Lebensabend verbringt, schreibt sie all ihre Erinnerungen auf. Dabei offenbaren sich durch ihre Perspektive Aspekte, die Harold so weder wahrgenommen noch gekannt hatte. Leider gewann dieser Rückblick in meinen Augen nie an Fahrt. Es gab - anders als bei Harolds Geschichte - für mich keinen Moment, in dem das Buch mich komplett in seinen Bann zog.
Insgesamt fand ich Queenies Geschichte träger und weniger mitreißend zu lesen als Harolds. Gut gefielen mir die Hospitalbewohner, von denen jeder einzelne einen besonderen Charakter hatte. Wie bei all den Menschen, die Harold auf seinem Weg kennenlernt, öffnet sich Queenie durch ihrer beider Geschichte den anderen Bewohnern gegenüber. Gemeinsam fiebern sie Harolds Ankunft entgegen, teilen Freude und Trauer, holen in den letzten Momenten ihres Lebens - angeregt durch Queenie - manches nach, dass sie vorher vernachlässigt hatten. Doch das Ende naht für alle - und für Queenie ist es ein unerwartetes.
Wie bereits oben erwähnt, zog mich dieses Buch nicht in seinen Bann. Mir fehlte im Vergleich zu Harolds zeitgleichen Erlebnissen im wahrsten Sinne des Wortes die Bewegung. Gemeinsam haben sowohl Harold als auch Queenie das Aufarbeiten vergangener Erlebnisse, das beiden zu einer Art innerem Frieden verhilft. Aber: Eine Gedankenreise ist eben immer noch nur ein Rückblick, kein beherztes Draufloslaufen.