Cover des Buches Das verlorene Kind (ISBN: 9783518374108)
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Rezension zu Das verlorene Kind von Rahel Sanzara

Rezension zu "Das verlorene Kind" von Rahel Sanzara

von Die_Buecherfresser vor 12 Jahren

Rezension

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Die_Buecherfresservor 12 Jahren
"In Vergessenheit geratenes Meisterwerk, das trotz des Alters schockiert!" ** Inhalt: Es geht um das Leben des Wirtschafters Christian B. und dem Verlauf seines Lebens mit seiner Familie auf dem selbst gewirtschafteten Gute. Dort lebt er zusammen mit Frau, zwei Söhnen, einer kleinen Tochter und mehreren Mägden wie Knechten und anderen Arbeitern, die auf dem Hof die anliegenden Aufgaben übernehmen. Nah steht der Familie auch die Magd Emma, die sich von Anfang an um die Kinder der Gutsbesitzerin kümmert und sie zusammen mit ihrem eigenen Sohn gedeihen sieht. Doch Emma ist keine alltägliche Magd, sondern streng keusch, tugendhaft und schüchtern. Fritz, ihr Sohn, ist das Ergebnis einer vergangenen Vergewaltigung, sodass Emma sich zwar liebevoll um ihn und die andren Kinder kümmert, jedoch emotional sehr zwiegespalten ist. Fritz wächst währenddessen unbelastet auf dem Gut auf und arbeitet. Allerdings ahnt niemand welche sexuellen Triebe in dem Jungen schlummern, bis plötzlich die kleine Anna spurlos verschwindet und tot aufgefunden wird. ** Meinung: “Das verlorene Kind” ist ein früher Roman aus der Weimarer Republik, der zum ersten Mal im Jahr 1926 erschienen ist. Trotz des exotischen Namens der Autorin handelt es sich hier um die deutsche Johanna Bleschke, die unter dem Pseudonym Rahel Sanzara erst bekannt wurde, bis sie im zweiten Weltkrieg leider in Vergessenheit geriet, da ihrem Pseudonym jüdisches Gedankengut/Verbindungen nachgesagt wurde. ** In dem Roman geht es um den Lebensverlauf des Christian B., der als einziger Charakter das Buch über besteht und auch als letztes zu Grabe getragen wird. Christian B. lebt mit Frau, zwei Söhnen und der kleinen Tochter Anna auf dem Gut, auf dem auch noch die Magd Emma und weitere Knechte und Arbeiter leben und arbeiten. Die kleine Anna ist der Stolz von Mann und Frau. Anna wird als engelhaft beschrieben und jeder muss bei ihrem Anblick lächeln und mag sie. Durch Anna gibt es auf dem Gut eine selige Glückseligkeit. ** Dazu gesellt sich der Sohn von der Magd Emma, der aus einer Vergewaltigung entstammt und mit den beiden Söhnen des Gutbesitzers aufwächst. Er ist zwar zurückhaltend und menschenscheu, jedoch denkt niemand etwas böses über ihn, da er von klein auf fleißig arbeitet, ordentlich und zuvorkommend ist. Allerdings ahnt an dieser Stelle nur der Leser, dass mit Fritz etwas nicht stimmt, denn von klein auf neigt er zu Aggressionen, versucht diese immer wieder durch Arbeit zu kompensieren und versteckt sich dann wieder. ** Im weiteren Verlauf der Geschichte kommt es dann zu dem Mord und der Vergewaltigung an der kleinen Anna, die danach lange Zeit gesucht wird, obwohl jeder ahnt, dass sie nicht mehr lebt. Als Leser weiß man, dass Fritz der Täter ist, der sich anscheinend keiner Schuld bewusst ist, was ich während des Lesens ziemlich bedrückend fand. Durch den Tod an der kleinen Anna verfällt das Gut, die Besitzer gehen langsam aber stetig daran zu Grunde und lange Zeit ahnt niemand das der Mörder, Fritz, unter ihnen weilt. Nur seine Mutter verabscheut ihn immer mehr, da sieht ahnt, dass er die Gewalttätigkeit seines Vaters geerbt haben muss. ** So verläuft der Roman, Fritz hat immer wieder seine gewaltsamen, lustgesteuerten Auseinandersetzungen, sei es nur mit einem zahmen Vogel oder einem kleinen Igel, an denen er immer wieder seine Triebe und Gewaltansammlungen auslässt. Dieses Bild ändert sich bis zum Ende hin nicht, bis zum Tod Fritzs, obwohl Fritz währenddessen auch seine Strafe für den Mord absaß. ** Mich hat vor allem die Stimmung in dem Roman sehr bedrückt, da nach dem Tod der kleinen Anna alles den Bach herunter geht. Christian B. spürt kein Glück mehr sondern lebt einfach nur. Langsam aber stetig sterben die Charaktere, wie die Mutter der kleinen Anna und später die Magd Emma, sodass Christian B. jeden noch zu Grabe bringen kann. ** Doch heftig finde ich vor allem die christlichen Einstellung des Christian B.. Er hat sich mit dem Tod abgefunden, er kann nichts daran ändern und lebt nur noch für andere, bis er zuletzt sogar noch Fritz nach seiner Haft aufnimmt und sich um ihn sorgt. Sobald er spürt, dass Fritz Gelüste wieder aufwachen schickt er jedes Kind vom Hofe und versucht so sich um Fritz zu kümmern, bis auch dieser an einer Krankheit stirbt. ** Die Schwere liegt hier besondern in der Tat. Fritz ist der Täter innerhalb des Romans. Er hat die kleine Anna vergewaltigt und getötet. Er sehr spät spürt er überhaupt was er getan hat und kastriert sich selbst, aber selbst danach ist er noch triebgesteuert und tötet in rasender Wut, wie ein vollkommener Psychopath. Doch die Autorin versucht es immer wieder so darzustellen, als könne er dafür nichts, als läge es in Fritz Natur, weil er diese Gewaltsamkeit von seinem Vater geerbt hat. ** Dagegen sticht die Mutter, die Magd Emma, stark hervor. Sie ist hier die weiße Partie. Sie ist tugendhaftem und keusch, sie hat nach der Vergewaltigung keinerlei sexuelles Leben und lebt Fritz ein unglaublich verklemmtes und keusches Leben vor, wodurch Fritz als Charakter zwischen schwarz und weiß erscheint. Zu diesem Punkt muss man erst einmal beim Lesen gelangen, aber dann ist “Das verlorene Kind” wirklich ein kleines Meisterwerk, das schockiert durch seine teils abartige Geschichte. ** Auch Christian B. ist ein Charakter den man so selten liest. Er kümmert sich später um Fritz trotz dessen, dass dieser Mann sein liebes Kind getötet hat. Er nimmt Fritz von Anfang an, als wäre er wirklich sein Sohn und obwohl Emma nie mehr etwas mit Fritz zu tun haben will und zum Ende hin sich nur aus Mitleid um ihn kümmern mag, behält Christian als Hauptprotagonist seine Meinung bei. Er scheint wie innerlich tot. Zu Beginn ist er lebhaft und voller Freude, kümmert sich um Haus und Hof und nach dem Tod der kleinen Anna bricht dies vollkommen ein. Sein Herz scheint kalt wie Eis und das traurige ist, dass er eigentlich jeden Charakter (Anna, Frau, Emma, Schwester, Fritz) überlebt und sogar 92 Jahre alt wird und dabei kaum noch etwas empfindet. ** Das heikle, dass Rahel Sanzara hier anspricht muss zudem in den 20er Jahren ziemlich schockierend gewesen sein. Der Roman wurde viel gekauft, obwohl heute vergessen und zeigt meiner Meinung nach nicht nur den Ablauf des Lebens des Chistian B. sondern zugleich das Leben eines vollkommen Psychopathen, dem man heutzutage einsperren und therapieren würde. ** Auch wenn der Roman nicht durch große Spannungsbogen besticht ist die Geschichte zudem interessant. Es geht vor allem um die Charakterzüge des Täters Fritz und der weiteren Nebenrollen, die sich im Verlauf der Geschichte entwickeln. ** Dazu kommt, dass man als Leser immer wieder die Luft anhält, sobald Fritz Kindern zu nahe kommt und dies ist noch öfters der Fall nach Annas Tod, da Fritz sich auf geistlicher Ebene zu Kindern hingezogen fühlt. Diese Szenen fand ich immer wieder grausam, weil ich nicht wieder lesen wollte wie Fritz über ein unschuldige Kind herfällt. ** Der Schreibstil ist natürlich etwas altertümlich. Man muss sich schon reinlesen und manchmal auch zwischen den Zeilen lesen um dem Roman auch genau zu verstehen. Rahel Sanzara versteht es Indizien zu geben, wodurch der Leser selbst auf einen Charakterzug, eine Handlung kommen kann. Für heutige Leser kann die Lektüre auch etwas zäh sein, denn obwohl diesem heiklen Thema, diesem abartigen Täter und diesem merkwürdigen Christian B. gibt es viele Beschreibungen und lagegezogene Handlungen. Das Buch beschreibt das Leben des Christian B. in seiner Blüte bis zum Ende, was ein langer Zeitraum ist. ** Das Cover passt unglaublich gut, da Fritz zum Ende hin für verschiedenen Kinder Spielzeug schnitzt und Kontakt zu ihnen hat, obwohl Christian B. so gut es geht darüber wacht. Der Titel spricht zudem nicht nur die tote Anna an, sondern auch den Täter Fritz, da seine Mutter ihn auch immer wieder als verloren darstellt, wodurch man abermals merkt, dass sich die Autorin wirklich bei ihrer Geschichte etwas gedacht hat. Die Ausgabe von Suhrkamp kostet auch nur 4,95€, sodass die Lektüre sicherlich einen Kauf wert ist. ** Fazit: “Das verlorene Kind” ist ein vergessener Klassiker aus den 20er Jahren. Das Thema schockiert selbst heute noch und ist trotz der vergangenen Zeit immer noch aktuell. Der Roman ist es sicherlich wert gelesen zu werden, auch wenn die Sprache etwas altertümlich ist, ebenso wie die Art des Erzählers. Ich kann das Buch auf jeden Fall empfehlen, denn die Entwicklung der Charaktere ist hier ausgereifter denn je und die Autorin weiß es mit Worten zu balancieren. 4 Sterne, da mir die ab und an doch zähe Geschichte etwas die Fahrt beim Lesen genommen hat.
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