EIN PLÄDOYER FÜR DEN FREITOD ALS LEIDENSCHAFTLICHES PLÄDOYER FÜR DAS LEBEN.
Dieses Buch hat mich gefesselt, ich konnte es kaum aus der Hand legen. Es zeigt den Weg eines an MS erkrankten auf vom ersten Augenblick des unglaublichen Bescheids bis zum allerletzten Befund: auskuriert. Der Kampf ums Leben ist verloren. Unwiderruflich. Doch der Autor ist ein Kämpfer. Er war ein Hochleistungssportler. Und als zäher und erfolgsgewohnter Läufer gibt er nicht einfach auf. Er schreibt. Er holt die Momente der Freude, der Hoffnungen und Abstürze heran, wie in Zeitlupe. Das Glück, über einen Sandstreifen am Meer zu laufen. Die Freude an der Bewegung. Das gute Gefühl, einen Tennisball zurück zu schlagen oder mit Freunden sich im Kaffeehaus zu treffen und mühelos zu plaudern, eine Tasse in der Hand zum Mund zu führen, Entschlüsse zu verwirklichen, sich durch den Tag zu bewegen oder gar sich zu verlieben und in das Erlebnis des Liebesakts zu versinken. Dieses Buch lehrt uns das Staunen über das Wunder des Lebens. Es zeigt uns aber auch seine Fragilität. Hoffnungen werden zerschmettert von Befunden, Aengste weichen oft auch dem kleinen Glück und Selbsttäuschung mündet in Zweifel. Der Körper reagiert nicht mehr nach dem Willen. Zunehmend wird klar, dass der Körper der Krankheit ausgeliefert ist. Diese Klarheit gewinnt zunehmend an Wichtigkeit.
Stefan Daniel stellt die Selbstverständlichkeit unserer Bewegung auf ein Podest. Er zeigt uns unsere guten und schlechten Augenblicke. Ohne zu jammern und ohne in Gefühlen zu schwelgen. Doch er klagt die Gedankenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit an. Da nimmt er kein Blatt vor den Mund. Behörden, Architekten, Aerzte, Pflegepersonal, Sterbehilfsorganisationen, Freunde und Unbekannte: Er benennt die Ungeheuerlichkeiten und zeigt die Stolpersteine, die Gesunde nie wahrnehmen oder beschönigen. Der Leser setzt sich mit Fragen auseinander, die er sich vielleicht noch nie gestellt hat. Vor allem öffnet der Autor seinen Lesern die Augen fürs Leben. Und dies ist das Grossartigste am Buch: Es rüttelt unsere wunderbarsten wie auch unsere schlimmsten Augenblicke wach, doch auf eine Weise, dass wir die Alltäglichkeit als ein Wunder erkennen. Dass wir begreifen, was es bedeutet: zu leben. Warum einer wie Stefan Daniel niemals kampflos aufgibt. Warum einer der das Leben so leidenschaftlich liebt, nun auch für einen würdigen Tod kämpft. Dieses Buch ist sein Sieg, ich wünsche ihm viele Leser.
Rainer Nübel
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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„Hoffnung, vergangen. Aber.“. Allein der Titel dieser Autobiographie besagt so viel. Er deutet bereits an, wie viel Kraft es dem Autor gekostet haben mag, wie viel enttäuschte Hoffnung er verkraften musste und wie unsagbar schwer es sein muss, eine solche Diagnose mit all ihren Konsequenzen zu akzeptieren. Umso mehr berührte mich der darauf folgende, schonungslos ehrliche Lebensbericht dieses starken Stefan Daniel. Ein Lebensbericht mit allen Höhen und Tiefen. Stefan Daniel erzählt nicht nur von der Zeit des Ausbruchs der Krankheit MS, den ersten Anzeichen, der Diagnose, sondern er erzählt auch von den schönen Momenten in seinem Leben. Ereignisse und Menschen, die Spuren in seinem Leben hinterlassen haben, Momente unauslöschlichen Glücks. Doch auch der unsäglichen Wut auf die Ungerechtigkeit bzw. der Gleichgültigkeit oder oftmals sogar Unverständnis und Ignoranz der Mitmenschen und der Gesellschaft an sich verleiht er in diesem Werk Ausdruck. Er tut dies jedoch auf offene und berührende Art – niemals anklagend versteht er es, den Spiegel vorzuhalten … wie oft hetzen wir von einem Ort zum anderen, versuchen, pünktlich zu einem Termin zu kommen und hasten vorbei … vorbei am Leben und an den Menschen? Übersehen Menschen, deren Einsamkeit wir mit ein paar Minuten fröhlichem Geplauder lindern könnten, wo wir mit unserem aufrichtigen Interesse an ihrer Person nicht nur deren, sondern auch unseren Tag schöner, heller machen könnten? Übersehen unsere Mitmenschen, die unsere Hilfe nötig haben – und sei es nur bei so einfachen Dingen wie dem Einkaufen in einem nicht-barrierefreien Laden? Tausend Kleinigkeiten, die wir in der Hektik des Alltags immer und immer wieder übersehen … nicht böswillig, jedoch zutiefst gedankenlos. Allein schon das Bewusstwerden dieser Dinge verdanke ich Stefan Daniel. Das ein wenig mehr „Augenöffnen“ im Alltag, das „sich in eine Situation eines Mitmenschen hineinversetzen können“ – auch das ist eines der positiven Aspekte dieses Buches. Nämlich, mir jeden Tag aufs Neue die Frage zu stellen, was Menschlichkeit im Grunde ausmacht. Nicht Mitleid, sondern Mitgefühl. Keine Hilfeleistungen aus ebendiesem Mitleid heraus, sondern aus dem Antrieb, den eigenen Sinn des Lebens auch darin zu suchen, dem Nächsten das Leben leichter, schöner zu machen. Denn ist es im Grunde nicht das, was unser Leben lebenswert macht? Sind es nicht die Dinge, die man nicht kaufen kann, die dem Leben wirklichen Wert geben? Werte wie Liebe, Freundschaft und Anerkennung? „Ein Lächeln kostet nichts und kann den Tag erhellen“ – wie oft lesen wir solche Aussagen – und wie selten leben wir danach? Stefan Daniel – hier an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank für dieses Buch, das dem Leser das Leben und seine wahren Werte ins rechte Licht rückt. Meinen aufrichtigen Dank – und auch meinen allergrößten Respekt vor Ihrer Stärke.
Mitten in einem Gespräch vertieft, sage ich plötzlich: Ach so und denke daran, der Mann gerade eben, der sitzt nicht im Rollstuhl, sondern auf dem Rollstuhl. Ein fragendes und etwas verwundertes Gesicht schaut mich an, denn dies war ein abrupter Themenwechsel und ich unterbreche selten tiefe Gespräche, nur wenn es wichtig ist und das war und ist wichtig.
Stimmt, du hast recht, er sitzt auf dem Rollstuhl, nicht im Rollstuhl. Aber wie kommst du darauf und was ist das für ein Hintergrund?
Das Thema, das wir soeben besprochen hatten, wurde verdrängt und ich beginne von Stefan Daniel zu erzählen, als ob ich ihn persönlich kennen würde.
Hoffnung, vergangen. Aber. Stefan Daniel erzählt von seinem Leben, bevor er die Diagnose MS – Multiple Sklerose - von Ärzten bescheinigt bekam und wie er seit diesem Tag mit dieser Diagnose umgeht. Höhen und Tiefen, aber nie ohne den Blick nach vorne zu verlieren, schildert er seinen Lebensablauf ohne beschönigende Worte zu verwenden. Jetzt hat Stefan Daniel den Stempel „austherapiert“ aufgedrückt bekommen.
„Dieser Schritt, der anders, weiter ausfiel, als ich es wollte. Dieser Schritt auf einem Tennisplatz, an meinem Lieblingsort, an meinem Pazifischen Ozean.“
„Es ist mit der Wut genau so wie mit der Hoffnung. Wenn sie weg zu sein scheint, taucht sie an der nächsten Ecke wieder auf. Sie kann kein Freund sein. Sie wird es nie sein.“
Eine Wut bekam ich beim Lesen ebenfalls, eine umfassende auf viele Lebenssituationen. Aber. Aber ich hatte und habe immer noch Hoffnung in mir. Hoffnung, die auch Stefan hat, Hoffnung, dass jeder sein Leben würdig leben und auch beenden kann.
Eine ganze Zeit lang später stecke ich immer noch in diesem Gespräch, erzähle von einem Interview mit Stefan Daniel, das ich gelesen habe, erzähle von dem Lesungsausschnitt, den ich mir angesehen habe, und dass ich Stefan Daniels Stimme im Ohr habe, vor allem wenn ich wieder und wieder in das Buch hinein lese. Und ich nehme mir vor, Stefan Daniel zu treffen, denn die Berichte von einem kleinen Ausschnitt aus seinem Bekanntenkreis genügen mir bald nicht mehr.
Hoffnung – kein Aber.
Danke nochmal an Stefan - nun habe ich ihn getroffen und werde ihn wieder treffen. Stefan - es ist schön deine Augen leuchten zu sehen.