Cover des Buches Der Gott jenes Sommers (ISBN: 9783518427934)
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Rezension zu Der Gott jenes Sommers von Ralf Rothmann

Distanziert erzählte Erlebnisse einer 12-jährigen im 2. Weltkrieg

von Caro_Lesemaus vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Die letzten Monate des 2. Weltkrieges aus Sicht einer 12-jährigen - insgesamt distanziert und sachlich erzählt

Rezension

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Caro_Lesemausvor 6 Jahren
Die 12-jährige Luisa verbringt die letzten Monate des 2. Weltkrieges mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Sybille auf einem Gutshof. Der Vater betreibt sein Offizierskasino in Kiel weiter und kommt gelegentlich zu Besuch. Luisa geht in die kleine Dorfschule, bis diese von einer Bombe getroffen wird, sieht Flüchtlingsströme vorüber- und in das Haus einziehen, entdeckt mit ihrem Freund Ole aus Versehen ein KZ in der Nähe, wird durch ihren Nazi-Schwager missbraucht und verliebt sich in den jungen Melker Walter, der unter den Geflüchteten seine Verlobte findet. Wieviel kann ein junges Mädchen ertragen, bevor es unweigerlich vor der Zeit erwachsen werden muss?

Der Roman wird aus Luisas Sicht in der 3. Person erzählt. Einerseits ist sie eine empathische 12-jährige, die von der rationierten Milch Teile an die kranken Pferde verfüttert und der Mutter Zigaretten klaut, um sie den in der Nähe lebenden Nonnen zu schenken, die im Lazarett arbeiten. Sie liest viele Romane, darunter auch einige weltliterarische Klassiker und kommt manchmal altklug daher. Andererseits kommen immer wieder ihre Naivität und Unschuld zum Vorschein. Trotz ihrer Belesenheit und ihres Einfühlungsvermögens werden im Laufe der Geschichte keine Schlüsse aus ihren Beobachtungen und dem Erlebten gezogen, viele durch die Erwachsenen ausgesprochenen Andeutungen auf ihre Fragen werden nicht reflektiert oder interpretiert. Für mich hat sie sich anhand der Schilderung persönlich nicht weiter entwickelt, am Ende fällt dennoch der Satz "Ich habe alles erlebt". Die Sprache ist insgesamt distanziert-sachlich, was diesen Eindruck sicherlich noch verstärkt.
Die längeren Kapitel um Luisa wechseln sich mit kürzeren Abschnitten ab, die ich aufgrund der altertümlichen Sprache zum Teil mehrmals lesen musste. Während der Lektüre entschloss sich mir deren Sinn oder Herkunft überhaupt nicht, außer, dass es ebenfalls um Krieg ging und die sprachliche Ausdrucksweise eben nicht mehr üblich ist. Insgesamt fand ich diese Einschübe dann sogar eher störend. Nach Beendigung des Buches habe ich dazu recherchiert, dass es sich um einen Briefwechsel während des 30-jährigen Krieges handelt. Auch wenn man hier sicherlich jahrhunderteüberdauernde Parallelen zur Wahrnehmung und Auswirkung eines Krieges ziehen kann, fand ich die Passagen auch nach dieser Recherche weiterhin überflüssig. Die vergebenen Seiten hätte der Autor lieber in Luisas Charakterentwicklung investieren sollen.

Fazit:
Die Romanidee hätte aus meiner Sicht mehr Potential gehabt, da die Welt einer unschuldigen 12-jährigen vollständig ins Wanken gerät und sie durch das Erlebte zwangsläufig reifen müsste. Leider ist dies im Text nicht erkennbar. Durch die distanzierte Schreibweise konnte ich auch nicht in dem Maße mit Luisa mitfühlen, wie ich das anhand der Thematik und ihrer Erlebnisse erwartet hätte. Wirklich schade, aber für die unzureichende Charakterzeichnung der Protagonistin muss ich einen Stern abziehen.
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