Cover des Buches Rehab (ISBN: 9783426437490)
Rezension zu Rehab von Ralf Wolfstädter

Die Büchse der Pandora

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 8 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 8 Jahren

Die Geschichte hat an sich eine Menge Potential: der moralische Morast absoluter Macht, Polizeigewalt und Korruption, heimliche Experimente an Strafgefangenen... Dazu kommt ein Protagonist, der an totaler Amnesie leidet und nur wenig Zeit hat, um die Wahrheit herauszufinden: ist er ein Mörder, oder ein Opfer von politischen Intrigen?

So ganz neu ist die Idee des vermeintlichen Mörders mit Gedächtnisverlust ja nicht, aber dennoch hätte daraus ein hochspannendes Buch werden können - leider scheiterte das für mich an vielen kleinen Dingen.

Zum einen konnte mich der Schreibstil einfach nicht überzeugen. Besonders die Dialoge klangen für mich oft hölzern, und die verschiedenen Charaktere hatten meines Erachtens keine prägnante, unverwechselbare Stimme. Oberflächlich gesehen bedienen sie sich vielleicht unterschiedlicher Sprache, aber es häufen sich dennoch die immer gleichen Ausdrücke, besonders dann, wenn sie aufgebracht sind. Auch sonst empfand ich den Schreibstil als nicht sehr einfallsreich, besonders, was die Sprecherverben betrifft:

"stieß er sorgenvoll aus", "stieß er amüsiert aus", "stieß er nachdenklich aus", "stieß er grinsend aus", "stieß sie überrascht aus", "stieß sein Gesprächspartner euphorisch aus", "stieß Daniel wütend aus"...

Viele Ausdrücke klingen für mich auch einfach etwas merkwürdig, so wird zum Beispiel von einer Frau gesagt, ihre Lippen seien "hufeisenförmig gen Hals gezogen", jemand macht eine "esoterische Handbewegung" und bei einer Prügelei heißt es: "Tritte wechselten den Besitzer".

Die Welt wird an sich sehr eindringlich und atmosphärisch beschrieben, was mir gut gefiel, aber sie erschien mir nicht immer in sich schlüssig, gerade was den Stand der Technik betrifft. Ich hatte das Gefühl, dass immer das gerade möglich oder nicht möglich ist, was am praktischsten für den Verlauf der Handlung ist. Einerseits hat Daniel eine Tätowierung, die seine Gesundheitsdaten fortwährend an das Gefängnis sendet - also eine Form absoluter Überwachung -, andererseits kann er beinahe problemlos unerkannt aus besagtem Gefängnis hinausspazieren.

Das Buch enthält viele rasante, actionreiche Szenen, aber die Spannung verpuffte für mich oft dadurch, dass Daniel völlig unglaubwürdig die noch so gefährlichste Situation meistert. Entweder hat er wahrhaft herausragendes Glück, oder im Buch tummeln sich die unfähigsten Wächter und Polizisten der Menschheitsgeschichte! Wenn es nur eine Szene gewesen wäre, in der es Daniel gelingt, unbewaffnet einen ausgebildeten, bewaffneten Gegner (oder sogar mehrere) zu überwältigen, würde ich ja gar nichts sagen - aber solche Szenen ziehen sich durch das ganze Buch. Dazu kommt noch eine Szene, in der ein Gegner ihm im Prinzip sagt: ich werde dir gleich xyz antun - ich fand, das solltest du wissen, bevor ich dich in diesem nicht abgeschlossenen Raum allein lasse...

Außerdem wird Daniel aus den unerwartetsten Ecken Hilfe angeboten, was ich auch nicht immer glaubhaft fand. Warum sollte zum Beispiel jemand, der im schlimmsten Ghetto lebt, tagtäglich mit Verbrechen und Gewalt zu tun hat und dadurch sicher etwas abgestumpft ist, sein eigenes Leben riskieren, um einem Fremden zu helfen?

Die dramatische Wendung am Schluss kam für mich leider überhaupt nicht unerwartet. Es gab schon im zweiten Drittel des Buches eine Szene, in der mit fadenscheiniger Begründung etwas so offensichtlich vor Daniel und dem Leser vertuscht wird, dass es mich stutzig machte und dadurch genau das Gegenteil erreichte: es gab in meinen Augen nur einen möglichen Grund für diese Vertuschung, nämlich genau besagte dramatische Wendung.

Die Charaktere wirkten auch mich überwiegend eher flach - besonders die Bösen sind so dermaßen allumfassend unsympathisch, dass es nicht reicht, dass sie korrupt sind, sie müssen auch am frühen Morgen saufen, regelmäßig Prostituierte besuchen und am Arbeitsplatz onanieren, wenn das Verkloppen von wehrlosen Betrunkenen zum Stressabbau nicht mehr reicht.

Fazit:
"Hamburg Rain 2084" ist eine epische Dystopie, erzählt als eSerial, bei dem jeder Band von einem anderen Autor geschrieben wurde. Scheinbar bin ich dazu verdammt, die Bände abwechselnd großartig und enttäuschend zu finden, und nachdem mich "Sundown" voll überzeugt hatte, tat sich "Rehab" wieder sehr schwer.

Der Schreibstil las sich für mich sperrig, mit vielen Wortwiederholungen, die Charaktere erschienen mir sehr eindimensional und stereotyp, und vor allem fand ich den Verlauf der Handlung oft überhaupt nicht glaubwürdig. Auch das Ende hatte ich leider schon vor der großen Enthüllung erraten.
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