Cover des Buches Die Insel der besonderen Kinder (ISBN: 9783426510575)
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Rezension zu Die Insel der besonderen Kinder von Ransom Riggs

‚Die Insel der besonderen Kinder‘ oder ‚hübsche Bilder sind nicht alles‘

von DrWarthrop vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Flautet nach interessantem Einstieg immer mehr ab; verkommt zu einer banalen Jugendromanze, ohne befriedigendes Ende. Nicht empfehlenswert.

Rezension

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DrWarthropvor 8 Jahren


Vorgeplänkel

Das Buch erschien im November 2011 beim Knaur-Verlag und wird unter dem Genre Kinder- und Jugendliteratur eingeordnet. Es erzählt von Jacob, seinem Opa und dessen vermeintlich erfundenen Geschichten. Oft hat sein Großvater ihm diese im Kindesalter erzählt, wobei sie so fantastisch klangen, dass Jacob sich nicht vorstellen konnte, dass auch nur eine davon wahr sei. Bis zu einem verhängnisvollen Tag, an dem sein Opa auf mysteriöse und extrem brutale Weise ermordet wird. In seinen letzten Atemzügen liegend erzählt er ihm, dass alle Geschichten wahr sind und er eine bestimmte Insel und einen Vogel finden soll. Entschlossen die Geheimnisse der mysteriösen Insel aufzudecken, begibt sich der jugendliche Jacob mit seinem Vater auf die Suche.

Die Kirsche ohne Torte

Es existieren viele verschiedene Bücher, die sich unterschiedlichsten Tricks bedienen, um den Leser weiter in das Geschehen hinein zu ziehen; es ihm besser zu vermitteln. Einige benutzen Illustrationen, um das Erlebte zu verdeutlichen oder um Situationen aus einen visuellen Winkel darzustellen. Andere wiederum benutzen unkonventionellere Mittel. Im Buch Level 36 z.B. befindet sich an jedem Kapitelende ein Code, der auf der Buch-Website zu einem kleinen Video führt, welches das soeben gelesene noch einmal filmisch umsetzt. Leider funktionieren diese Techniken nicht immer optimal und ruinieren (falls für die Geschichte zwingend erforderlich) im schlimmsten Fall sogar noch das Lesevergnügen.
Im vorliegenden Buch verhält es sich ähnlich, wobei die Entstehung des Buches bereits Hinweise auf die, sagen wir höflicherweise Mal: ziemlich miserable literarische Leitung gibt. Der Autor sammelte alte Fotografien, bzw. besorgte sich die Einsicht in einige private Kollektionen, um damit seine Geschichte zu erzählen. Und genau da, liegt meiner Meinung nach auch der Fehler des gesamten Konzepts. Während sich die meisten Autoren solcher visuellen Mittel nur bedienen, um ihre Geschichte dem Leser ansprechend zu vermitteln, hat Ransom Riggs eine Geschichte zu den bereits existieren Fotos geschrieben (und das mit beträchtlicher Hilfe). Selbst ohne Kenntnis des Vorwortes, welches die Entstehung kurz erläutert, fällt jedem geschulten Leser nach relativ kurzer Zeit auf, dass Charaktere gesichtslos bleiben und die Orte nur oberflächlich und lieblos beschrieben werden. Und das obwohl sogar Anschauungsmaterial vorhanden ist. Der Autor verlässt sich, in dem Punkt viel zu sehr auf seine Fotografien, die wiederum seiner Geschichte Leben einhauchen sollen, es aber nur bedingt schaffen. Was der Autor anscheinend nicht bedacht hat, ist, dass Bücher durch ihren Inhalt überzeugen sollten und nicht nur durch zusätzliches Material, jedweder Art.

Lichtblicke

Trotz der harschen Kritik schafft es der Autor (nicht zuletzt durch die bereits erwähnten Fotografien) die Geschichte einigermaßen aufregend und interessant zu gestalten. Zumindest so lange die Bilder ihm noch als Inspiration dienten.Es scheint, dass sobald dem Autor die visuelle Unterstützung seiner Fotos fehlt, sich sein Ideenreichtum zunehmend erschöpft.
Er beginnt seine Geschichte mit geheimnisvollen Fragen und voller Spannung. Die Idee, die erfundenen Geschichten eines alten, senilen Großvaters seien wahr, ist zwar weder originell, noch neu, jedoch vor Allem für einen Jugendroman völlig in Ordnung und keineswegs störend. Dem Autor gelingt es den Leser interessiert sein zu lassen, vor Allem durch das Aufwerfen spannender und mysteriöser Hinweise, die dadurch eigentlich den Kern der Spannung ausmachen. Die titelgebenden „besonderen Kinder“ sind, bis auf zwei Ausnahmen meistens charakterlos und fad, obwohl die Voraussetzungen für gegenteiliges durchaus gegeben war. Dahingegen sind z.B. Miss Perigrine, die Direktorin oder Hüterin des Hauses und die Villa selbst extrem detailreich beschrieben und hauchen der Geschichte immer wieder für kurze Momente Leben ein. Leider beschränken sich diese Momente nur auf ein paar wenige Zeilen pro Kapitel, so dass dem Leser keine wirkliche Chance geboten wird in das Geschehen einzutauchen, geschweige denn Teil davon zu werden.

„Captain, Captain! Wir haben kein Pulver mehr!“

Leider verschießt der Autor sein Pulver im ersten Teil der Geschichte komplett, da alle bis dahin aufgeworfenen Mysterien in sehr kurzer Zeit und extrem banal aufgeklärt werden und die Geschichte damit ihres „Zaubers“ beraubt wird. Wie auf einer Achterbahn, die ihren Zenit erreicht hat, geht die Spannung ab diesem Punkt steil bergab, bis der Leser am Ende der Geschichte nur noch bis zum Ende liest, weil er schon so weit gekommen ist und nicht weil die Geschichte für ihn noch in irgend einer Weise spannend oder interessant gewesen wäre.
Der im unteren Abschnitt visualisierte Spannungsbogen zeigt deutlich, wie die Spannung vor allem nach der Hälfte rapide abfällt und sich gegen Ende kurz vor einem Spannungsminimum befindet.Prägnant ist auch die Stelle zwischen 50% und 60% der Geschichte. Dies ist der prägnante Punkt, an dem der Autor anfängt alle seine Mysterien aufzulösen, ohne äquivalenten Ersatz dafür bieten zu können.Dadurch bleibt am Ende leider nichts mehr von der anfänglich überschwänglichen Spannung übrig. Auch die, in der ersten Hälfte noch häufig auftretenden “Horrorelemente“ verlieren sich ab der Hälfte fast vollständig und tauchen nicht, oder nur in abgeschwächter Form wieder auf.

Romantik mit billiger Klischeefüllung

Anscheinend um dem Spannungsabfall entgegenzuwirken, baut sich im Laufe der zweiten Hälfte der Geschichte eine Romanze zwischen dem Protagonisten Jacob und einer der „besonderen Kinder“ namens Emma auf. Diese ist aber leider so oberflächlich, plump und leidenschaftslos geschrieben, dass man das Gefühl bekommt der Autor hätte überhaupt keine Ahnung von Jugendlichen. Oder von Liebe.
Mit einem großen Griff in die Klischeekiste wird versucht eine halbwegs realistische Romanze auf die Beine zu stellen, was nicht erreicht wird. Das ganze wirkt eher wie eine Parodie auf Teenager-Romanzen. Dabei stehen vor allem die Klischees, die ursprünglich benutzt wurden, um die Romanze überhaupt realistisch wirken zu lassen, im Weg. Diese verpassen der Geschichte eine höchst unprofessionelle Note. Außerdem wird der Leser damit förmlich aus der schon dahindümpelnden Geschichte geworfen, da das Ganze extrem aufgesetzt und unrealistisch wirkt. Zu keinem Zeitpunkt nimmt man dem Autor diese Romanze wirklich ab.

Ein Ende ohne Ende

Nun zum vorletzten Punkt dieser recht ausführlichen Rezension: dem Ende.
Der Autor hat sich, wie es viele andere vor ihm auch schon taten, für ein offenes Ende entschieden. D.h., dass die Geschichte am Buchende nicht endet, sondern dass das Buch an diesem Punkt eigentlich erst wirklich anfängt. Da der Autor, wie oben bereits schon erwähnt, am Ende jedoch sowieso kaum noch Spannung übrig ließ, erübrigt sich die Frage, ob man wissen möchte, wie die Geschichte weiter-, bzw. ausgeht.
Trotzdem hätte sich der Leser abschließend sicher über ein vernünftiges Ende gefreut. Aber nein, der Autor hat sich gedacht, er möchte seine Geschichte lieber auf drei Bücher strecken (wahrscheinlich, weil sich damit mehr Kohle verdienen lässt) und somit den Leser des ersten Buches um ein befriedigendes Ende berauben.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass es sehr schade ist, dass der Autor es nicht geschafft hat seine durchaus interessanten Grundideen vernünftig im Buch umzusetzen. Außerdem wirkt die Methode, einen Großteil der Geschichte an Hand von Fotos zu beschreiben, unausgereift. Es fehlt dem Autor einfach an Inspiration und Schreibtalent.

Ich würde weder das Buch, noch den Autor jemandem empfehlen. Weiterhin werde ich keins der weiteren Serien-Bücher lesen. Die Insel der besonderen Kinder hat mir den Spaß gründlich verdorben.
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