Julian bittet seine Großmutter Sara, ihm vom Krieg zu erzählen, damit er ihre Erfahrungen für ein Referat nutzen kann. Sie zögert, denn es gibt manches, was sie noch nie irgendjemandem erzählt hat. Und nun soll sie es ausgerechnet ihrem Enkelsohn erzählen? All das Schöne, aber auch all das Schreckliche, was sie erlebt und gesehen hat? Doch schnell erkennt sie, wie wichtig das ist - für Julian ebenso wie für sie selbst. Also beginnt sie mit ihrer Geschichte - und lässt dabei nichts aus ...
„Bei uns allen gibt es etwas im Leben, das wir bedauern. Denk einfach immer daran: Nicht unsere Fehler bestimmen, wer wir sind, sondern was wir tun, wenn wir aus ihnen gelernt haben."
pos. 70
Auf dem hellen, beigefarbenen Cover sieht man viele kleine schwarze, gezeichnete Blätter, die den Umriss eines Vogels bilden. Durch die reduzierten Farben wirkt das Cover zugleich schlicht und auffallend. Cover und Titel passen sehr gut zum Inhalt des Buches, auch wenn man den Sinn dahinter erst nach einer Weile erkennt :)
Der Schreibstil ist flüssig, authentisch, unglaublich poetisch und durch und durch fesselnd. Man wird von den ersten Seiten an in den Bann gezogen und selbst, wenn man das letzte Kapitel gelesen, den Buchdeckel längst zugeklappt hat, lässt es einen nicht los. Schon nach kürzester Zeit ist klar: das ist ein Buch, das man nie wieder vergisst.
„Ich versuche, nicht in Kategorien von Gut und Böse zu denken. Ich stelle es mir lieber als hell und dunkel vor. Ich glaube, dass alle Menschen ein Licht haben, das in ihnen scheint. [...] Das Licht erlaubt es uns, anderen Menschen ins Herz zu schauen, die Schönheit dort zu erkennen. Die Liebe. Die Traurigkeit. Die Menschlichkeit. Doch manche Menschen haben dieses Licht verloren. Sie tragen Dunkelheit in sich, und sie sehen auch in anderen nur Dunkelheit. Keine Schönheit. Keine Liebe."
pos. 519
Die Story wird auf zwei Zeitebenen erzählt: einmal die Gegenwart, in der Julian seine Großmutter darum bittet, ihm ihre Geschichte zu erzählen und einmal die Vergangenheit, in der wir hautnah miterleben, was Sara widerfahren ist. Dadurch wird enorm Spannung aufgebaut, denn immer wieder werden die Kapitel der Vergangenheit, in denen es nicht selten um Leben oder Tod geht, unterbrochen von Julian, der Fragen stellt und nachhakt, ob er alles richtig verstanden hat. Außerdem lernen wir so Julian besser kennen, der im Buch "Wunder" ja hauptsächlich die Rolle als "Bösewicht" einnimmt. Hier lernen wir eine andere Seite von ihm kennen, eine, die sein voriges Handeln hinterfragt, die sich damit beschäftigt, sich zu ändern und die bereut, was er getan hat. Man muss "Wunder" aber nicht kennen, um dieses Buch zu verstehen, beides kann unabhängig voneinander gelesen werden.
Sara lebt als Kind in der unbesetzten Zone in Frankreich, sie hat ein schönes, unbeschwertes Leben, liebende Eltern und vom Krieg bekommt sie eigentlich nicht wirklich was mit. Für sie ist das ganz weit weg. Bis es das plötzlich nicht mehr ist. Als an ihrer Schule alle jüdischen Kinder deportiert werden, kann sie mithilfe eines Mitschülers fliehen: ausgerechnet Julien, der aufgrund einer früheren Polio-Erkrankung nicht richtig laufen kann und deshalb von allen gemobbt wird, bietet ihr Hilfe an und auch seine Eltern riskieren ihr Leben, um sie zu schützen. Für Sara, die nicht weiß, ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen wird und ob diese überhaupt noch am Leben sind, beginnt eine schwere Zeit voller Angst, Sorge, Gefahr, aber auch Selbsterkenntnis. Denn anfangs kommt Sara einem recht überheblich und eitel vor, doch das ändert sich schnell und sie hinterfragt ihr früheres Handeln und Denken. Hier findet auf jeden Fall eine starke Charakterentwicklung statt.
„Es braucht immer Mut, um freundlich zu sein. Aber wenn du durch eine Zeit gehst, in der Freundlichkeit dich um alles bringen kann - um deine Freiheit, um dein Leben -, wird Freundlichkeit zum Wunder. Freundlichkeit ist alles. Ein Licht im Dunkeln. Der eigentliche Kern der Menschlichkeit. Sie ist Hoffnung."
pos. 2649
Die Geschichte ist wahnsinnig berührend, fesselnd, wunderschön und gleichzeitig entsetzlich. Selten habe ich bei einem Buch so viel geweint, aber auch gelacht, und mir so viele wundervolle Stellen markiert. Ein Roman, der von Angst, Schrecken, Gewalt, Hass und von Liebe, Freundschaft, Menschlichkeit, Hoffnung und Nächstenliebe erzählt und der noch sehr lange nachhallen wird.
Fazit
"White Bird" ist ein Must-Read und für mich eines meiner absoluten Jahreshighlights 2023! Nicht nur für Jugendliche ein Muss, sondern auch für alle Erwachsene. Einfach jeder sollte dieses Buch lesen!
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