Cover des Buches Der große Schlaf (ISBN: B002800PDC)
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Rezension zu Der große Schlaf von Raymond Chandler

Rezension zu "Der große Schlaf" von Raymond Chandler

von FabianD vor 12 Jahren

Rezension

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FabianDvor 12 Jahren
Philip Marlowe ist nicht irgendein Detektiv, er ist der hard-boiled Urtypus des Detektivs (natürlich zusammen mit Hammetts Sam Spade). Raymon Chandler lässt diesen bodenständigen und nüchternen Ermittler das erste Mal in seinem Debütroman ‚Der große Schlaf‘ 1939 auftreten. Bis heute einer der Klassiker des Krimis und immer noch absolut lesbar. Auch wenn Chandler meint, dass Marlowe sich schon in den Detektiven seiner vorhergehenden Kurzgeschichten abzeichnet, ist es hier, wo er seine unverwechselbare Stimme findet: Den klassischen Monolog eines oberflächlich zynischen Mannes, der hinter seiner Melancholie einen unbrechbaren Idealismus verbirgt. Diesen Charakter setzte schließlich Humphry Bogart sein Gesicht auf. Man braucht Marlowe nicht zu lieben oder auch nur zu mögen, heutzutage wäre er wohl ein ziemlicher Sexist, Chauvinist und auch ziemlich taktlos. Er konsumiert unwahrscheinliche Mengen Alkohol, die einem entweder die Augen übergehen oder lachen lassen, je nachdem mit wie viel Humor man es nehmen kann. Aber natürlich ist er ein Kind seiner Zeit. So muss man ihn auch nehmen. Aber sein Stil, die Stimme, der Sarkasmus und der Witz, den Chandler ihm gibt, sind unverwechselbar und - obwohl es oft versucht wurde - unnachahmbar. Wir ziehen an der Seite dieses Haudegens durch das Los Angeles der späten 30er. Eine Welt, die das Buch mit wenigen, präzisen Worten in grandiosen Bildern festnagelt. Die Stadt ist zerrissen zwischen der Dekadenz Hollywoods und dem ärmlichen Rest, zwischen einer Polizei, die zu gern wegsieht, und Unternehmern für die Moral kein Hindernis ist. Marlowe passt in keine der Gruppen, die wir treffen; er ist stets der Außenseiter. Aus dieser Position heraus erlaubt er sich auch seine charakteristischen Kommentare und er hält sich vor wirklich niemandem zurück; weder gegenüber seinem Auftraggeber General Sternwood noch dessen Töchtern aber auch nicht vor dem Gangster Eddie Mars und schon gar nicht vor dessen Handlanger Canino. Dabei tritt der Fall fast ganz in den Hintergrund. Marlowe jagt nicht kleinste Hinweise, wie ein Holmes, Dupin, Poirot oder eine Miss Marple die aus den Details des Tatorts ganze Tagesabläufe rekonstruieren. Stattdessen folgt er seinem Bauch, findet, trifft und verhört Verdächtige. Der ganze Roman setzt sich aus kurzen atmosphärischen Beschreibungen und grandiosen intelligenten Dialogen zusammen - auch wenn Chandler erst später in seinem Leben zu höchster Form aufläuft (ganz besonders in ‚Der lange Abschied‘), so schimmert sein Genie in ‚Der Große Schlaf‘ bereits durch. Noch fehlen Marlowe die Qualitäten des Literaturkenners und Schachspielers, auf die er in seinem Sarkasmus immer wieder Bezug nimmt; trotzdem verbirgt er hinter der Fassade des einfachen Mannes viel Intelligenz. Unangenehm auffallen tut an dieser Abfolge von Dialogen nur, dass manchmal nicht ganz klar ist, was Marlowe von einem Ort zum anderen treibt. Gerade im Mittelstück des Romans konnte ich nicht allem gut folgen, das mag auch an Chandlers Art liegen seine Kurzgeschichten auszubeuten, um sie am Ende zu einem neuen Kriminalfall zusammenzufügen. Doch er entschädigt den Leser weitreichend. Gerade am Anfang und gegen Ende kreiert er Szenen, die in ihrer Einprägsamkeit und übertriebenen Ästhetik eines Ennio Moricone-Filmes würdig wären. Doch Marlowe ist und bleibt eine Figur Raymond Chandlers und nur seine Hände konnte ihn wirklich zum Leben erwecken. Vier von fünf Sternen für diesen Roman, der fast mehr Charakterstudie als Kriminalfall ist. Den fehlenden Stern sichert sich Chandler erst mit seinem, meiner Meinung nach, größten Werk, ‚Der Lange Abschied‘.
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