Cover des Buches Der lange Abschied (ISBN: 9783257202076)
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Rezension zu Der lange Abschied von Raymond Chandler

Rezension zu "Der lange Abschied" von Raymond Chandler

von FabianD vor 12 Jahren

Rezension

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FabianDvor 12 Jahren
Im Werk Raymond Chandlers ist ‚Der Lange Abschied‘ als das unvergleichliche Kronjuwel anzusehen. Darüber hinaus sprengt das Buch den Rahmen des üblichen Krimis, den wir lesen, um erneut die Lösung eines verwickelten Mordfalls zu erraten, wie so oft zuvor. Wir folgen Philip Marlowe bei dieser Gelegenheit nicht nur in die Schlangengrube eines weiteren Verbrechens, denn das ist nur das Gerüst; wir werden auch hineingezogen in die Schlammschlacht der Publicitiy, der Schönen und Reichen, der Polizei und der Schriftstellerei. Auf dieser Bühne spielt natürlich jeder Chandler Roman und der Hintergrund für jeden hard-boiled Kriminalroman hat so zu sein. Doch diesmal ist es mehr als gute Staffage, Garderobe oder Requisite. Diese Schlammschlacht bewegt ‚Den Langen Abschied‘ voran. Doch anders als üblich fällt der Tod in dieser Geschichte nicht mit der Tür ins Haus. Sein erstes Opfer holt er sich verhältnismäßig spät. Erst zeigt Chandler uns die verkappte Freundschaft von Marlowe und Terry Lennox, wie sie sich kennen lernen, wie sich ihre Routine einspielt, wie sie streiten. Dann zwingen die Umstände sie, sich zu verabschieden und dieser letzte Gruß dauert den ganzen Roman lang an. Erst hier setzt die eigentliche Handlung ein. Doch darüber sei nicht zu viel verraten. Es genügt zu wissen, dass die Erfahrung des Autors hier voll zur Geltung gelangt und jeder Zentimeter des Plots durchdacht ist, jede Szene zählt, jeder Dialog ist ein Schritt nach vorn, doch dabei kommt kein Gefühl der Hast auf und dem Leser bleibt genügend Raum sich in die frühen Fünfziger versinken zu lassen. Wir treiben durch die High Society Amerikas: da ist der züchtige Doktor, dort der Verleger aus New York, irgendwo im Hintergrund lauert der milliardenschwere Businessman mit einem Zeitungs-Imperium und zwischen den Gewalten zerreißt es einen genialen Schriftsteller. Das ist nicht nur Philip Marlowes Hollywood, es ist auch das von Raymond Chandler selbst. Semi-biografische Elemente ziehen sich durch das ganze Buch. Allein schon die düstere Stimmung ist nicht nur Pose. Die Atmosphäre einer im Herbst stehenden, sterbenden Welt kommt aus einer allzu realen Quelle, die Chandler die Vergänglichkeit aller Dinge vor Augen führte - dem Tod seiner Frau. Die Trauer, die sich auch in seinen persönlichen Briefen dieser Zeit niederschlägt, verwandelt er in das starke Futter für Marlowes Melancholie und den endgültigen Schmerz eines letzten Abschiedes. Der Trotz dieses Ende zu akzeptieren treibt den Detektiv an. Chandler macht vor keiner Einzelheit seines Lebens halt, nicht vor dem Alkoholismus, der verschiedene Charaktere prägt, und nicht vor seinen eigenen Selbstmordversuchen. Letztere ziehen ihre traurige Spur durch die ganze Handlung, auch wenn der erste Eindruck der Suizide meist täuscht. All das fokussiert sich besonders im Charakter Roger Wades, einem Schriftsteller historischer Romane - in den Fünfzigern noch genauso verpönt, wie die Detektivgeschichte zu der Zeit als Chandler frisch die Szene betrat. Wade spielt das Sprachrohr für alles die Schriftstellerei betreffende; so auch für die Sorgen des Jobs und die Probleme mit den Verlagen. Ganz besonders gefallen hat mir die unterschwellige Meta-Ebene mit ihren satirischen Reflexionen über schlechten oder guten Stil. Da sind zum Beispiel Roger Wades im Suff verfasste Klagen über Vergleiche oder aber Howard Spencer, der mit (!) Punkt und Komma redet. Diese psychologischen Studien bettet Chandler in einen Plot, der seines gleichen sucht. Er täuscht den Leser kräftig, baut erst einen großen Fall um den oben genannten Terry Lennox auf, lässt das dann fallen und wendet sich ganz anderem zu. Dabei zieht sich der Abschied von Lennox wie ein Leitthema durch alles Folgende und immer mehr zeichnet sich ab, dass doch alles zusammenhängt. Das Ende kommt mit Wucht, nach und nach zeigt uns Chandler/Marlowe die Geheimnisse, erklärt sie in überraschenden Wendungen. Er macht sozusagen eine Führung hinter der Bühne des Zauberstücks, dass er vorher ausführlichst inszeniert hat. Mir blieb danach nur Bewunderung für das bittersüße Ende (wobei die Bitternis deutlich dominiert). Fünf Sterne für eines der besten Bücher dieses Genres, das ich je gelesen habe.
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