Rezension zu "Unziemliches Verhalten" von Rebecca Solnit
Eindringlich zeichnet Solnit ihr eigenes Leben nach. Auch wenn die Schriftstellerin rund 20 Jahre älter ist als ich und in Kalifornien lebt, konnte ich an so vieles andocken. Solnit beschreibt, wie die von den ersten wagen Störgefühlen, wie sehr die Welt sexistisch ist, hin zu einer klaren Haltung gelangt. Von Solnit stammt übrigens der Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“, der die Grundlage für den Begriff Mansplaining bildete.
CN/Content Note: Femizide, sexualisierte Gewalt, Rassismus, Klassismus, Queerfeindlichkeit
Viele geschilderte Erfahrungen sind schmerzhaft, Solnit beschreibt sie mit Einfühlsamkeit und einer unglaublichen Präzession.
„Der Tod einer schönen Frau ist fraglos das poetischste Motiv, das es gibt«, schrieb Edgar Allen Poe, der sich das kaum aus der Perspektive der Frauen vorgestellt haben kann, die lieber am Leben bleiben wollten.“
Femizide als höchste Form der patriarchalen Gewalt sind ein Ausgangspunkt. Besonders elektrisierend fand ich die Darstellung des Gedankens, dass misogyne Gewalt nur einer Person passieren muss und doch auf uns alle wirkt. Der Tisch, an dem Solnit ihre Texte schreibt, ist das Geschenk einer Freundin, die fast von ihrem Ex-Freund mit 15 Messerstichen getötet worden, weil der sie bestrafen wollte, nachdem sie ihn verließ. Solnit schildert ihre Erlebnisse und findet darin das Allgemeine.
„Jeder Vorfall, den ich erlebte, wurde als isoliert und unüblich behandelt, aber es gab zahllose Vorfälle, und sie waren keine Ausreißer, nicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt, sondern Teil des Status quo.“
Dabei ist sich Solnit bewusst, dass sie als weiße Frau trotz allem Privilegien hat, die Schwarze und Queere Menschen aufgrund von Mehrfachmarginalisierung nicht haben. Das machte Solnit für mich sehr sympathisch, besonders, weil sie zeigt, wie viel sie (und alle) diesen Communities verdanken. Und in der Solidarität sieht Solnit Hoffnung.
Solnits Essaystil liest sich für mich flüssig und anregend. Im letzten Fünftel ging es mir dann etwas zu viel um ganz unterschiedliche Begegnungen mit Künstler*innen, das hatte für mich etwas von Name-Dropping, habe aber auch diesen Teil noch gerne gelesen.
Es geht Solnit auch viel um die Entwicklung der eigenen Stimme, allgemein und auch in der Kunst und Publizistik. Daher ist das Buch besonders für künstlerische FLINTAs eine Empfehlung, aber auch für alle anderen. 4,5 von 5 Sternen.