Angesichts der zahlreichen schwärmerischen Rezensionen zu diesem Buch, die vermutlich mehrheitlich von Frauen kommen, frage ich mich wirklich, wer von diesen Leserinnen tatsächlich sein Leben neu erzählt hat. Auf genau die Weise, wie das in diesem überladenen Text empfohlen wird. Solche Bücher haben meistens ein ähnliches Schicksal wie Anmeldungen in einem Fitness-Studio nach dem Jahreswechsel. Man nimmt sich viel vor und scheitert dann am inneren Schweinehund oder anderen Hindernissen, die in diesem Fall das Buch selbst aufbaut.
Die Autorin hat sich mit ihrem Buch erst einmal viel vorgenommen. Und ihre Idee ist nicht schlecht. Allerdings kommt sie aus einer Ecke, die bei mir immer wieder für Frohsinn sorgt. Rebecca Vogels hat trotz ihres nicht allzu weit fortgeschrittenen Alters schon eine Menge ausprobiert und sich dann schnell etwas anderem zugewandt. Nun gerade hat sie sich mit ihrer Storytelling-Methode selbstständig gemacht. Ihr Buch soll sie bekannter machen.
In einer ihrer Anstellungen zeichnete Vogels für Produkt-Storytelling in den USA verantwortlich. Was das bedeutet, kann man oft in der Fernsehwerbung bewundern. Da werden zum Beispiel aktuell Autos mit ihrer Musik-Anlage beworben, weil sich schließlich viele Menschen extra ein Auto zum Musikhören kaufen wollen. Erst die Geschichte zum Produkt, dann der Rest. Manchmal funktioniert das, weil sich Menschen eben oft nicht rational verhalten und Denken gelegentlich anstrengend ist. Deshalb wird in der Werbung meist eine Geschichte erzählt, die unsere diffuse Gefühlswelt und damit unser Unterbewusstsein ansprechen und das Denken lahmlegen soll.
Natürlich möchte Frau Vogels nicht, dass wir uns eine Geschichte ausdenken, um uns selbst besser zu vermarkten. Nein, wir sollen lernen, unsere Geschichte endlich einmal ordentlich zu erzählen. In den USA kann das jedes Kindergarten-Kind, weil es dort geübt wird. Wer bin ich, was will ich? Und so weiter. Wir dagegen, so klagt Frau Vogels, sind viel zu bescheiden und wollen ungern über uns selbst reden. Da kann man anderer Meinung sein und zum Beispiel vermuten, dass wir eher gut trainiert obrigkeitsgläubig und deshalb zurückhaltend nicht aus der Reihe tanzen wollen. Wir lassen uns schließlich gerne vom Staat beschützen und versorgen. Da ist man besser treu und ergeben. Das ist in den USA grundsätzlich anders.
Frau Vogels will uns das nun abgewöhnen und dazu anleiten, unsere eigene Geschichte aus dem Dunkel unserer Erinnerungen hervorzukramen und neu zu erzählen. Das ist in der Tat eine sehr gute Idee, weil ein solcher Prozess, wenn er rational und ehrlich abläuft, Verhaltensmuster aufdecken kann. Oder Klarheit darüber schafft, was wir wirklich wollen. Im täglichen Allerlei gerät so etwas schnell in den Abgrund des Vergessens und muss deshalb bewusst und mit viel Energie angestoßen werden. Oft geschieht das erst, wenn man in eine Lebenskrise gerät. Und vielleicht kann man eine solche verhindern, wenn man sich rechtzeitig mit sich selbst befasst. Denn darum geht es in diesem Storytelling-Buch in Wirklichkeit.
So gut die Idee hinter diesem Buch auch ist - man merkt ihm an, dass seine Autorin zappelig ist. Quirlig klingt vielleicht etwas freundlicher, beschreibt aber dasselbe Phänomen. Auf Seite 144 erzählt die Autorin, was sie so alles schon angefangen und nicht wirklich beendet hat: Geigenstudium, akademische Karriere, Job in der Software-Branche, das Verfassen von Büchern, private Beziehungen, Liebesbeziehungen. Das gehört zwar nicht alles in den gleichen Topf, wird aber von ihr so aufgelistet. Und zwar unter dem Punkt "nicht gescheitert, sondern neu orientiert". Daran sieht man übrigens, wie man mit Storytelling ein und dieselbe Angelegenheit ganz verschieden darstellen kann.
Wenn man anderen Menschen dabei helfen möchte, Struktur und Klarheit in ihr Leben zu bringen, sollte man das erst einmal selbst können. Dass das nicht ganz so einfach ist, sieht man auch an diesem Text, denn er ist ziemlich überfrachtet und didaktisch nicht besonders gelungen. Wahre Meister wissen, dass im Weglassen die eigentliche Kunst der Lehre besteht.
Hier aber passiert das genaue Gegenteil. Und das beschädigt nicht nur die Struktur dieses Buches, sondern macht es auch schwer, ihm zu folgen. Statt Klarheit zu schaffen, folgen immer neue Methoden und Vorschläge, wie man sein Leben neu erzählen soll. Das schafft Verstopfungen statt Reinigung und Durchblick. Am Ende kann man zwar von der Idee des Buches begeistert sein, kennt aber viel zu viele Verfahren und Varianten, um noch klar zu wissen, was man nun eigentlich machen soll. Geht es ums Große und Ganze oder um Detailentscheidungen? Suchen wir Muster in unserem Verhalten oder diskutieren wir die Frage, ob wir uns ein Haustier anschaffen? Storytelling hilft wie eine Allzweckwaffe.
Wenn man lehrt oder ein Buch schreibt, sollte man sich jedoch zunächst einmal in die Köpfe der Lernenden oder Leser versetzen und nicht seinen eigenen als Prototyp benutzen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Idee hinter diesem Buch ist hervorragend, ihre Realisierung hinkt dem etwas hinterher. Als Anregung fand ich das Buch recht gut.