»Vielleicht besteht das Problem ja gar nicht darin, dass sie nicht zueinander passen, sondern darin, dass sie einander zu ähnlich sind.«
Alice und Hanna sind zweieiige Zwillingsschwestern. Und dort hören ihre Gemeinsamkeiten auch schon auf. Denn während Alice ruhig ist, harmoniebedürftig, der Liebling der Mutter und immer versucht, es allen recht zu machen, ist Hanna das komplette Gegenteil. Hanna ist laut, eigensinnig und macht, was sich für sie richtig anfühlt. Während Alice sich schon ihr ganzes Leben lang nach einer Beziehung zu ihrer Schwester sehnt, nutzt Hanna jede Gelegenheit, sich von Alice abzugrenzen. Keine leichte Voraussetzung für eine Familie, die durch Spannungen funktioniert: Michael, Alice' und Hannas älterer Bruder, gefällt sich in der Rolle des selbstbewussten, erfolgreichen Erstgeborenen und ist sich nie zu schade, seine Weisheiten an seine Schwestern weiterreichen zu wollen. Ihr Vater glänzt vor allem durch emotionale und/oder räumliche Abwesenheit und ihre Mutter ist eine Sache für sich. Dominant, liebesbedürftig, unsicher sieht sie ihre Kinder als Verlängerungen ihrer selbst an und kommt nur schwer damit klar, dass sich ihre kleinen süßen Kinder in eigenständige Erwachsene verwandelt haben, die die Distanz zur übergriffigen Mutter suchen. Und dann wäre da noch dieses eine Detail in der Familiengeschichte, über das niemand spricht und dennoch so viel Raum einnimmt in der komplexen Familienstruktur. Als die junge Hanna eine unerwartete Erfahrung macht, werden alte Wunden aufgerissen, Verborgenes kommt ans Licht und die fragilen Familienbande scheinen ein für alle Mal zu reißen. Ob es dieser Familie am Ende doch noch gelingt, zueinander zu finden, die Vergangenheit aufzuarbeiten und so etwas wie Glück zu finden? Lest den Roman, findet es raus.
» ›Aber irgendwo ist es doch egal, was man fühlt, wenn man sich nicht entsprechend verhält, oder?‹ Stirnrunzelnd schaut sie in die andere Richtung. ›Seine Art der Liebe war am Ende eben nicht viel wert.‹ «
»Meine bessere Schwester« ist ein packendes, psychologisch und emotional hoch komplexes Familienporträt und begleitet die Mitglieder der Familie über Jahrzehnte hinweg. 2018 treffen sich alle nach Jahren zum ersten Mal auf einer Beerdigung wieder. Distanz, Angst, Angespanntheit und die Unfähigkeit, aufeinander zu zu gehen, dominieren das Wiedersehen. Während die Lesenden immer wieder in das Jetzt zurückkehren, gibt die Geschichte gleichzeitig Einblick in die Vergangenheit der Figuren und schafft somit Verbindungen, Gründe, Erklärungen, zeichnet so ein Bild, das einen verstehen lässt, wie es zu der Entfremdung kommen konnte. »Meine bessere Schwester« zeichnet Parallelen zwischen der Kindheit von Alice und Hanna auf der einen und ihrer Mutter und deren Schwester auf der anderen Seite. Und zeigt, dass wir manchmal die Fehler unserer Kindheit an unsere Kinder weitergeben, so sehr wir das auch verhindern wollen. Führt vor Augen, was wiederholte und durch Generationen hinweg unzureichend gegebene Liebe und Zuneigung anrichten können, wie dies Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie und auch zur eigenen Person beeinflussen kann. Der Roman gibt einen Einblick in ein komplexes Familiennetz, in die Schwierigkeiten von Geschwister- und Eltern-Kind-Beziehungen. Und eröffnet zugleich Chancen.
Ich habe »Meine bessere Schwester« gerne gelesen. Es war packend und trotz der häufig ernsten Thematik humorvoll und mit einer angenehmen Leichtigkeit. Für mich hätte es gerne noch ernster, weniger leicht sein können, ich wäre gerne noch ein wenig mehr eingetaucht in die Familiendynamik. Ich glaube, »Meine bessere Schwester« ist etwas für alle, die Ernsthaftigkeit für Zwischendurch wollen. Die gefesselt werden wollen von der Geschichte, aber am Ende nicht gefangen bleiben wollen in ihr. Für mich ein gutes Buch über Familie, psychische Krankheiten und weibliche Gefühlswelten. Ich werde definitiv mehr von der Autorin lesen!