Rezension zu "Abendkleid und Filzstiefel" von Regine Beyer
Jüdisches Leben...
In einer lockeren und leichten Weise erzählt Regine Beyer über das Leben der Rosa Goldstein, die 1907 in Berlin geboren wurde. Aus der persönlichen Geschichte ist ein Panorama jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert geworden. Die Eltern Rosas und zwei ältere Schwestern hielten sich vorübergehend bei Verwandten in Berlin auf, um den schweren Pogromen gegen Juden in Bialystok, das damals zu Russland gehörte, zu entgehen.
Rosa kam als Nachkömmling in schwieriger Zeit nicht gerade als erwünschtes Kind auf die Welt, was aber der Liebe zu ihrer Mutter keinen Abbruch tat. Die Familie gehörte zum reichen Großbürgertum jüdischer Herkunft. Sie litten wie überall unter Verfolgungen und Nachstellungen antisemitischer Kräfte.
Rosa war musikalisch und bildete Ende der zwanziger Jahre ein Gesangsduo anfangs mit ihrer Freundin Laelia Rivlin und später mit Joa Jeckert. Sie nannte sich jetzt Peggy Stone und bastelte eifrig an ihrer Musikerkarriere. Als sie den Geiger Bronislaw Mittman kennen lernt, mündet die Beziehung schon bald in eine Ehe, die jedoch nicht lange hält. Inzwischen kündigte sich der Zweite Weltkrieg an, und die weit verzweigte Familie begibt sich auf die Flucht. Von Köln führt Rosas Weg zurück über Bialystok, Moskau, Sibirien zurück nach Bukarest. Von dort reist Rosa mit ihrem dritten Ehemann nach dem Ende des Krieges über Israel nach Amerika.
Zahlreiche Familienmitglieder haben noch während des Krieges in aller Welt Zuflucht gesucht. Bialystok gerät in die Grenzverschiebungen zwischen Russland und Polen. Die Geschichte der Stadt und der angrenzenden Bukowina ist Legende; stammten doch aus der Region so bekannte jüdische Schriftsteller wie Joseph Roth, Paul Celan, Louis Begley, Martin Buber und Musiker wie Vladimir Horowitz neben vielen anderen.
Während des Krieges verdingt sich Peggy Stone als Jazzsängerin und Diseuse in der roten Armee. Dabei erfährt sie Kälte, Hunger und Not. Doch sie fällt immer wieder auf die Füße. Erst mit ihrem dritten Ehemann Hermann Hönigsberg begegnet ihr die große Liebe.
Die Aufzählung der Orte und Begegnungen, die Atmosphäre in den Häusern des reichen jüdischen Bürgertums, die schweren Zeiten in den dreißiger Jahren nach der Weltwirtschaftskrise und nicht zuletzt die Folgen des Holocaust bestimmen die Erzählung.
Im Wechsel zu der Erzählerin Regine Beyer kommt Peggy Stone selber zu Wort. Sie zeigt mir ihrer Biographie, wie sich Schicksale entwickelten und unter welchen Bedingungen man ums Überleben zu kämpfen hatte. Etwas verwirrend sind die vielen, vielen Namen von Anverwandten, die sich durch Hochzeiten und neue Verbindungen ständig vermehrten.
Das Zeitgemälde des letzten Jahrhunderts wird für Interessierte gut dargestellt. Dennoch ähnelt dieses Buch eher einem Gespräch mit unregelmäßiger Chronologie als einer Familiensaga. Die Geschichte wird ein wenig hölzern und gedrängt vorgetragen, so dass von dem abenteuerlichen Leben so recht kein Funke überspringen will.
Edgar Hilsenrath, der entfernt mit Peggy Stone verwandt ist, schrieb das Vorwort zu ihrer Biographie. Regine Beyer bietet den Rahmen und fügt zusammen, was aus den Erzählungen Peggy Stones nicht klar wird.
Viele jüdische Schicksale hatten abenteuerliche Ortswechsel und Staatszugehörigkeiten zu vermerken. Einmal mehr ist hier der Versuch unternommen worden, über ein hoch interessantes und wechselvolles Leben einen lebendigen Bericht zu schreiben.