Regine Nomann (1867 - 1939) ist sicher manchen von uns vom Studium her ein Begriff, aber Hand aufs Herz, haben wir sie gelesen? Irgendwie stand sie im Schatten ihrer großen Zeitgenossinnen, Sigrid Undset und Nin Roll Anker, mit denen sie eng befreundet war. Übersetzt wurde auch in der Glanzzeit der skandinavischen Literatur in Deutschland nur ein Buch, ihr Debüt Krabvaag. Skildringer fra et lidet fiskevær („Krabvaag – Schilderungen aus einem kleinen Fischerdorf“) von 1905, in dem sie die entbehrungsreichen Lebensumstände der armen Küstenbevölkerung Nordnorwegens darstellt. Aber auch dieses Buch ist hierzulande gründlich in Vergessenheit geraten und derzeit nicht einmal in Antiquariaten zu finden. Wunderbar also, daß es nun endlich ein Buch von ihr in neuer Übersetzung gibt!
Regine Normann kam von den Vesterålen. Sie verlor sehr jung ihre Eltern, wuchs bei Verwandten in der Nähe von Harstad auf. 1885 heiratete sie, sicher auf Vermittlung irgendwelcher Verwandten, wie es damals eben üblich war, Jahren den Lehrer und Glöckner Peder Johnsen aus Malnes in Bø. Kryptisch lesen wir, daß sie „mit Erlaubnis ihres Mannes“ eine Ausbildung zur Lehrerin machte. Viel weiter reichte seine Großmut aber nicht, schreiben konnte sie nur heimlich - was wir von anderen Autorinnen ihrer Zeit kennen, Anna Munch z.B. Wie Anna Munch verließ sie den Gatten dann und ging nach Kristiania, wo sie in Kontakt zur damaligen literarischen Szene kam und die prägenden Freundschaften zu anderen Autorinnen schloß. Dort lernte sie auch ihren zweiten Mann kennen, Tryggve Andersen – der es nicht verdient hat, hier weiter erwähnt zu werden (er hat nichts unversucht gelassen, um Übersetzungen der Werke Karl Mays ins Norwegische zu verhindern). Auch diese Ehe, 1906 geschlossen, hielt nicht lange, 1913 erfolgte die Scheidung..
Regine Normann schrieb zwar Romane gesellschaftskritische Romane, aber ihr größter Erfolg waren ihre Märchen. Sie zeigt sich dabei als exzellente Kennerin des internationalen Märchenschatzes, aber auch der norwegischen Varianten, wie sie durch die Sammlung von Asbjørnsen & Moe verbreitet waren. In ihren Märchen setzt sie die einzelnen Motive neu zusammen und reichert sie mit norwegischen, vor allem nordnorwegischen Requisiten an. Die gewaltige nordnorwegische Natur bildet fast immer die Kulisse, wer das Fell hat, kann sich in einen Otter verwandeln (statt wie anderswo in einen Schwan oder einen Seehund), die Rollen der Bösen (bei Grimm oft Riesen) sind mit Trollen besetzt, die hier einfach nur gemein und tückisch sind. Wichtel dagegen fungieren durchweg als gute Helfer. Besonders liebte sie Reihenmärchen, in denen dem Helden immer neue Aufgaben gestellt werden, die er lösen muß, um die eigentliche Aufgabe zu bestehen. Wenn wir es ganz wissenschaftlich haben wollen: Motive, die sie in vielen Variationen verwendet, sind z.B. ATh 314, „Tier als Fluchthelfer“, 310, „Jungfrau im Turm“ und 302, „Des Teufels Herz.“ Aber damit das hier nicht zu wissenschaftlich wird, zurück zu den Märchen. Ganz strikt an das Vorbild von Asbjørnsen & Moe hält sie sich darin, daß der Märchenheld die Prinzessin und das halbe Königreich bekommt, während die Prinzessin nicht gefragt wird. Allerdings vermoderten die von Sammlerinnen wie Ole Crøger (1801 - 1855) gesammelten Märchen, in denen Frauen eigenständig handeln und sehr gut ohne Prinzen zurechtkommen, damals in den Archiven, wie wir heute wissen. Ganz passiv sind die Prinzessinnen zudem doch nicht – sie greifen durchaus ein, um dem Helden den Weg zum halben Königreich zu erleichtern. Besonders gern aber läßt sie Kinder die Hauptrolle spielen, und dann sind Mädchen keinerlei Begrenzungen auferlegt, Beispiel: Das Goldbergschloss im Nordwestmeer, ein Reihenmärchen mit immer neuen Wendungen – und der kleinen Karianna in der Heldinnenrolle.