Cover des Buches Das Cis von San Francisco (ISBN: 9783828031562)
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Rezension zu Das Cis von San Francisco von René Sommer

Im Sound der Popkultur

von elizagamai vor 9 Jahren

Kurzmeinung: René Sommer nutzt die kurze Form der Gedichte, um sich eine Welt zu erfinden, die frei ist von literarischen Traditionen.

Rezension

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elizagamaivor 9 Jahren
Der schweizerische Schriftsteller René Sommer fand in seinen Gedichten zum eigensinnigen Ton seiner Werke. Wer aber nur ein wenig in René Sommers Dichtwerk eintaucht, weiß: Die fiktive Figur des Johann Sebastian Huch, die in mehreren Werken auftaucht, ist weit mehr als eine fiktiver Sprachspieler. Huch ist ein Philosoph - und ein Humorist. Er gibt sich auch im 18. Gedichtband höchst originell und einfallsreich. Sommer nutzt die kurze Form der Gedichte, um sich eine Welt zu erfinden, die frei ist von literarischen Traditionen. Er musiziert mit der Sprache in Musik, spielt mit den Wörtern und ihren mehrfachen Bedeutungen. Dabei erzeugt er den ganz eigenen Sommer-Sound zwischen Surrealismus und einer die Logik achtende Vorstellung, wie die Realität beschaffen sein könnte. Er durchbricht die Schranke zwischen der bewussten Wahrnehmung und der Welt der Träume, des kollektiven Unbewussten, dringt zu einer eigenen Wirklichkeit vor, der „möglichen Welt“, in welcher sein Protagonist Huch zu Hause ist. Sein komplexes Spiel mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten erzählt von Robotern, die einen Konzertflügel zertrümmern, einer Seifenblase, „die über grüne Berge zu den Wolken steigt“, und „Stimmen aus einer anderen Welt“, und klingt dabei immer höchst menschlich, einfühlsam und erstaunlich klar, als wäre alles Absurde alltäglich und greifbar. Es kommt vor, dass Dichter und Komponisten in einem Comic oder Trickfilm erscheinen. Das bekannteste Beispiel ist der Zeichentrickfilm „Fantasia“ von Walt Disney, der Werke von Johann Sebastian Bach, Stravinski, Goethe und Beethoven popkulturell interpretiert. Comicfiguren mit großen Kulleraugen treten eher selten in Gedichten auf. Für den 1954 geborenen Dichter René Sommer, der mit Comics aufgewachsen ist, gehören sie so unverzichtbar zur Popkultur wie Woodstock, San Francisco, Jimi Hendrix, die Coladose oder Andy Warhol.

„Als Kind floh er in die Traumwelt der Bücher
und Comic, folgte dem Einhorn
tief ins Tunnellabyrinth präziser Erinnerungen.“

In seinem Waldhaus-Atelier schlummern nicht nur Gedichtentwürfe in Kartons, sondern auch Comics, wobei der fiktive Dichter Johann Sebastian Huch sozusagen der Archetyp der hybriden Kultur ist, die Sommers Werk auszeichnet. Schon der Name „Huch“ ist ein Hybrid aus dem Eigennamen Huch, bekannt durch die deutsche Philosophin und Dichterin Ricarda Huch, und „Huch!“ als vielzitierter Ausruf in Comics. In seinen Gedichten stecken Comics. Auch die Lesenden, die ein Gedichtbändchen mit Widmung erhalten, sind Comicfiguren, allerdings mit Worten gezeichnet wie die in einigen Gedichten auftretende „Americana Sunshine“. Comicartig stellt sich Sommer den Vertrieb der Gedichtbände vor. Sie sollen ab Hof verkauft werden wie Äpfel, Kirschen oder Eier. Der fiktive Dichter Huch treibt ein irritierendes Spiel mit Sommers Biografie, der früh als Kind begann, Gedichte zu schreiben und in Zeitschriften zu veröffentlichen. Das Sprachspiel, das an Wittgensteins Sprachphilosophie erinnert, lässt völlig offen, ob Sommer den Dichter Huch oder Johann Sebastian Huch den Dichter Sommer erfindet. Von Gedicht zu Gedicht wird Huch immer realer. Kameramann und Tontechniker machen die Filmaufnahme von Huch, wie er den Anfang des Gedichts und den verrätselten Titel von einem vergilbten Zettel im vogelzwitschernden Garten rezitiert. Nachts liegt er wach, sagt sich Gedichte vor, die er am Schreibtisch auswendig lernte. Schließlich ist sogar die für ihre Pragmatik bekannte Schweizer Post von Huchs Existenz überzeugt:

„Laut Schweizer Post ist Herr Huch
im Dorf persönlich bekannt.“

Seit er 6 Jahre alt war, bringt er Gedichte zu Papier. Bäume, Vögel, Wolken erscheinen so real wie der fliegende weiße Elefant, der möglicherweise dem kollektiven Unbewussten aus indischer Ferne entsprungen sein könnte – oder der Werbung für Erfrischungstücher. Für die möglichen Welten, in welchen sich Huch so sicher wie im vertrauten Wald bewegt, macht es keinen Unterschied. In der Rangliste der absonderlichen Dichter darf er einen der vorderen Plätze beanspruchen.
In einem Maisfeld findet Huch ein Schild mit der Frage: „Glaubst du an die heilsame Macht der Fantasie?“ – Wer sich einmal in Huchs fantastische Welt eingelesen hat, wird die Frage gewiss bejahen und immer neue Zugänge zur eigenen, individuellen Wirklichkeit finden.
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