Ayse ist vierzehn Jahre alt, als sie verheiratet wird. Bei ihrem Mann Mustafa in Deutschland erwartet sie jedoch nicht das erhoffte Paradies, sondern die Hölle: Noch vor der Hochzeit vergewaltigt Mustafa sie. Entehrt geht Ayse in eine Ehe, die durch Ausbeutung, Schläge, und sexuelle Gewalt bestimmt ist. Sie bekommt vier Kinder und arbeitet bis zur Erschöpfung, ohne jedoch je selbst einen Cent zu erhalten. Denn Ayses Schwiegermutter behandelt sie wie eine Sklavin. Die grausamen Details ihrer Leidensgeschichte sind erschütternd: Männer halten ihre Frauen gefangen, prügeln und vergewaltigen sie regelmäßig. Erst nach neunzehn Jahren gelingt Ayse endlich die Flucht aus dieser Zwangsehe ...
In einer Ich-Erzählung, mit einer schlichten chronologischen Anordnung der Ereignisse und Dialoge berichtet Ayse über ihr Leben.
Natürlich bin ich nach der Lektüre erschüttert.
Ist die türkische Kultur eine europäische? Passen die Vorstellungen über Ehe und Familie mit dem zusammen, was die europäische Tradition der Menschenrechte für unveräußerbar hält? Solche Fragen müssen wir uns stellen, angesichts der Tatsache, dass immer noch -- auch in Deutschland -- junge Türkinnen gegen ihren Willen von ihren Eltern zwangsverheiratet werden.
Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dies ein rein islamisches Problem ist. Zwangsehen, Kinderehen und arrangierte Ehen finden sich in allen Kulturen. Auch in christlichen. Nur schon, wenn die Eltern dagegen sind, dass ihre Tochter sich in jemanden aus einer anderen Kultur verlieben könnte, wird beabsichtigt oder unbeabsichtigt Druck auf das Mädchen ausgeübt, so dass solch eine unerwünschte Beziehung nicht zustande kommt. Egal was die Betroffenen davon halten, aber solange eine Ehe nicht frei und willentlich von beiden Parteien aus eingegangen wird, solange sich die Brautleute vor der Hochzeit kaum kennen, ist ein glücklicher Ausgang dieser Verbindung in Frage zu stellen.
Die von den Verwandten arrangierte und erzwungene Heirat ist ein Phänomen, das sich über Jahrhunderte in patriarchalischen Familienstrukturen und autoritären Gesellschaften des Nahen und Fernen Ostens sowie Afrikas herausgebildet hat. Nach Angaben der Frauenrechtsorganisation »Terre des femmes« sind auch Griechinnen, Italienerinnen oder Brasilianerinnen betroffen. In Deutschland stammen die meisten Leidenden aus der Türkei, weil Türken und Kurden die größte Gruppe unter den Einwanderern darstellen.
In Deutschland gilt Zwangsheirat als schwere Nötigung und wird strafrechtlich verfolgt. Doch ist die Ehe erst einmal im Ausland geschlossen, sind die Frauen dem dort geltenden Recht ausgeliefert.
Zwangsehe ist Strategie: Muslimische Familien sind in ihrem Einwanderungsland meist eine Minderheit. Nur durch verwandtschaftliche Bindungen innerhalb ihrer Sippe können sie ihre Basis in der »Fremde« stärken und den Familienbesitz sichern. Gleichzeitig erhalten sich die Eltern durch das Verheiraten der Kinder in die »Heimat« ein Zuhause, das, so glauben sie, sie im Alter auffangen kann.
Die meist minderjährigen Mädchen können in einem Herkunftsland wie der Türkei problemlos blutjung geehelicht werden. Die Eltern wissen: Je jünger die Töchter bei der Hochzeit sind, desto früher wird ihr Lebensunterhalt von ihrem neuen Versorger finanziert. Außerdem haben sie ihre Jungfräulichkeit noch nicht verloren.
Schlimm, an der ganzen Sache ist, dass Frauen da mitmachen. War in der Türkei Ayses Vater grausam, so war es in Deutschland vor allem die Schwiegermutter, die ihr das Leben zur Hölle gemacht hat. Am meisten erschüttert hat mich jedoch, dass Ayse mit ihrer Tochter dasselbe gemacht hat. Als Birgül sechzehn war, ist Ayse mit ihr in die Türkei gereist, um sie mit einem älteren Mann zu verheiraten. Der Auserwählte war damals zweiundzwanzig. Also nur sechs Jahre älter als die Braut. In den Augen einer sechzehnjährigen war dies jedoch ein gewaltiger Altersunterschied.
Wir kennen nur Ayse Sicht, die ziemlich stolz darauf war, das Richtige zu tun. Doch nur aus den wenigen Äußerungen Birgüls, die Ayse weitergab, war ersichtlich, dass das Mädchen zu diesem Zeitpunkt nicht heiraten wollte. Doch Ayse hat sich alles schöngeredet, und das Mädchen gegen ihren Willen verheiratet. Und dies nur, damit ihr nicht die Familie ihres Ex-Mannes zuvorkam, die von dieser Hochzeit nichts wusste. Dass sich Birgül aus eigener Kraft zwei Jahre danach aus dieser Ehe befreien konnte, war nur dem Zufall zu verdanken. Glücklich wäre sie mit ihrem Ehemann vermutlich nicht geworden.
So erschütternd solche Texte oft sind - fast immer fehlt es den Abrechnungen an differenzierteren Tönen und dramaturgischem Schliff. In beinahe jedem dieser Bücher sucht man vergeblich nach Passagen kühlerer Argumentation oder gar einer distanzierten Betrachtung der Misere.
Die Autorin hat ihre Geschichte mit Hilfe einer Journalistin geschrieben. Damit wollen sie ihre Leidensgenossinnen erreichen, um ihnen zu zeigen, dass es auch anders geht. Doch werden diese Frauen überhaupt erreicht?
Die meisten der Betroffenen dürfen oder wollen solche Bücher gar nicht in die Hand nehmen. So sind es vor allem deutsche Frauen, die diese Werke lesen. Die Leidensberichte versprechen gruseligen Unterhaltungswert, veredelt durch das Gefühl, am Kampf für die gute Sache teilzunehmen.
Doch ändert sich tatsächlich etwas?