Rezension zu "Der verkaufte Patient" von Renate Hartwig
Das ist eines der interessantesten Bücher, die ich über das Gesundheitssystem gelesen habe und das beste von Renate Hartwig. Lesenswert ist auch der Nachtrag in dieser Neuausgabe, in dem sie die Reaktionen auf das Buch schildert!
Dass die Privatisierung für den Bürger meist nicht gut endet, ahnen wir alle inzwischen. Renate Hartwig nennt Namen der schlussendlichen Nutzniesser, zeigt Verfilzungen und Verstrickungen auf und gibt einen Ausblick auf das Gesundheitssystem der Zukunft, das die Politik ansteuert. Die Krankenkassen, ehemals gemeinnützige Einrichtungen, in profitorientierte Unternehmen umzuwandeln, die zudem Tochterfirmen gründen, das ist ärgerlich- erstmals wird die Frage gestellt, ob das überhaupt rechtens ist. Ist der Staat eigentlich befugt, das, was die Bevölkerung ihm übertragen hat, zu verkaufen? Unweigerlich musste ich an das Oligarchentum Russlands denken. Was hat die Bertelsmann-Stiftung damit zu tun? Warum werden Milliarden des Gesundheitsgeldes in IT-Programme gepumpt? Was hat es mit Siemens Schmiergeldskandal um die eCard auf sich? Ich verstehe jetzt besser, warum so viele Patienten sinnlos leiden und sterben. Ich verstehe nun aber auch die Lage der Ärzte, die weder wissen, was sie verdienen, noch ob sie das, was sie verdienen, in ein paar Jahren womöglich zurückgeben müssen. Denn Ärzte, die nicht im Durchschnitt liegen, bekommen Regressforderungen, gegen die sie realistisch keinen Einspruch erheben können und die sie die Existenz kosten können. Was bedeutet das für chronisch Kranke, Alte oder Behinderte? Ich lerne, dass Deutschland laut WHO das weltweit viertteuerste Gesundheitssystem hat, die Versorgung in der Qualität aber nur auf Platz 25. steht. Ich würde dieses Buch nicht nur Ärzten und Patienten empfehlen, sondern generell politisch interessierten. Renate Hartwig nimmt kein Blatt vor den Mund, stellt Fragen und zieht forsche Schlüsse. In wenigen Fällen schiesst sie meiner Meinung nach übers Ziel hinaus, wenn sie z. B. nur den USA die Schuld gibt (Deutsche Konzerne wie Bayer schädigen ebenfalls US Bürger. Zum Glück wird Bayer in den Staaten jedoch zu Strafen verurteilt. In Deutschland nicht. Auch gibt es Beispiele amerikanischer Familien, die durch die Einführung eines Systems wie in Deutschland die Existenz verlieren, weil sie doppelt so hohe Beiträge wie vorher bezahlen müssen und die Medikamente nicht mehr erstattet werden... Man kann meiner Meinung nach also den Schaden, der in Gesundheitssystemen entsteht, nicht auf ein Verursacherland festlegen.) Auch dass die deutschen Kirchen besser sind, weil sie durch Kirchensteuer finanziert werden, während sie in den USA von Spenden leben- also angeblich hinter dem Geld her sind (die geldgierigen Amerikaner), sehe ich nicht so. Aber das sind kleine Nebenschauplätze. Ich kann das Buch sehr empfehlen, auch wenn es jetzt älter ist. Muss man gelesen haben.