Cover des Buches Der Störenfried (ISBN: 9783218008365)
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Rezension zu Der Störenfried von Renate Wagner

"'I sag, d' Welt steht auf kein Fall mehr lang … !“ (aus "Lumpazivagabundus")

von Bellis-Perennis vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Unangepasst und zynisch, jedoch mit enormer Schaffenskraft - der Schauspieler und Autor Johann Nestroy

Rezension

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Bellis-Perennisvor 8 Jahren
Renate Wagner, eine profunde Kennerin des Multitalents Johann Nestroy, schenkt den Kulturinteressierten – gerade rechtzeitig zu Nestroys 150. Todestag (25. Mai 2012) – diese ausführliche Biographie.

Wer war er nun, der Sänger, Schauspieler, Stückeschreiber, Theaterdirektor, Aufrührer und Störenfried?

Geboren am 07. Dezember 1801 in Wien, als zweites von acht Kindern eine durchaus bürgerlichen Familie. Der Vater will, dass sein Sohn Jus studiert und in seine Fußstapfen tritt. Doch bereits 1814 im Schottengymnasium hat er seinen ersten Auftritt als Piano-Spieler. Er wird später ein paar Semester Philosophie und Jus studieren, es aber zu keinem Abschluss bringen. Während des Studiums hat er Engagements in der k.k. Hofoper als Opernsänger….

Detailgetreu und akribisch zeichnet Renate Wagner den Werdegang Nestroys nach. Jede einzelne Station seiner Laufbahn wird geschildert. Manchmal scheint sich die Autorin in jeden noch so kleinem Detail zu verlieren, um wieder zum großen Ganzen zurückzukehren.

Wir begleiten den Pianisten, Sänger, Opernsänger, Schauspieler, Theaterschriftsteller und letztlich den Theaterdirektor auf seinen Wegen. Zu Beginn seiner Karriere reist er von Stadt zu Stadt, von Bühne zu Bühne, von Wien nach Amsterdam und Brünn und Graz, um wieder nach Wien zurückzukehren. Er arbeitet später unermüdlich und rastlos: über 70 Stücke hat er in 36 Jahren verfasst, allein im Jahr 1832 sechs Bühnenwerke. Und fast täglich steht er auf der Bühne.
Schließtage? So etwas kennt das Theater der Biedermeierzeit nicht. Es wird gespielt, so lange ein Stück dem Publikum gefällt. Knebelverträge der Theaterdirektoren, wie der berühmt berüchtigte Karl Carl einer ist, machen es den Schauspielern und Schriftstellern nicht leicht. Gewerkschaften gibt es damals noch nicht.

Die Autorin reiht die Theaterstücke Nestroys in chronologischer Reihenfolge aneinander und spart nicht mit Details aus den Produktionen. Immer wieder wird das damals aktuelle Tagesgeschehen miteingeflochten.
Eine besondere Rolle nehmen auch die Geschehnisse im Revolutionsjahr 1848 ein. Nestroy wird mehrmals verhaftet.

Sie widmet aber auch dem Privatleben Nestroys einen breiten Raum. Seine kurze Ehe, die lebenslange Partnerschaft mit Marie Weiler, die eine exzellente Agentin ist und immer gut für Nestroy verhandelt. Er selbst ist da weniger begabt. Ohne Weiler, wer weiß, wie sein Leben geendet hätte. Marie Weilers Geduld wird häufig strapaziert, hat der erfolgreiche Mann doch Verehrerinnen und G’spusi en masse.

Renate Wagner beleuchtet das Verhältnis zur den Theaterkritikern, die ihm oft nicht wohlgesonnen sind. Rechtsstreitigkeiten sind hier die Folge. Auch Nestroys Schauspielerkollegen bekommen ihren Anteil im Buch.

Interessant ist auch, dass – vor der Einführung des Urheberrechts – jeder, jeden gnadenlos kopiert hat.

Mir gefallen Nestroys Wortspielereien und die passenden Namen, die er seinen Figuren in den Theaterstücken gibt, z.B: Leim = Tischler, Knieriem = Schuster, Titus Feuerkopf = der rothaarige Hauptdarsteller in "Der Talisman" oder Flora Baumscheer = Gärtnerin.

Seine Art des „Extemporierens“ (Stehgreifspiel) wird vom Wiener Publikum geliebt. Doch manchmal wird er auch gnadenlos ausgepfiffen.
Bis zu seinem Tod 1862 wird er seine Rollen sarkastisch anlegen und mit der Zensur kämpfen.
Er ist und bleibt ein Störenfried und doch haben seine Werke heute noch Gültigkeit.

Einiges war mir neu, z.B. dass der berühmte „Lumpazivagabundus“ auf Drängen von Direktor Carl eine Fortsetzung erhalten hat.

Ich finde diese Biographie sehr aufschlussreich, zeichnet sie doch ein interessantes Bild dieses Multitalents.

Ein kleiner Nachtrag noch. Was wurde aus dem berühmten Carl-Theater auf der damaligen Jägerzeile (heute Praterstraße) in der Leopoldstadt?
Es hielt sich bis ca. 1929, dann wurde es geschlossen und nur mehr für Filmaufnahmen geöffnet. 1944 wurde das Gebäude durch einen Bombentreffer schwer beschädigt. Interessanterweise blieb die Fassade bis Mitte 1951 stehen. Danach wurde das Carl-Theater nicht mehr aufgebaut. Heute steht an dieser Stelle der "Galaxy Tower", ein Bürogebäude, das inmitten der Gründerzeithäuser der Umgebung ziemlich deplatziert wirkt. Die Gedenktafel, die an das traditionsreiche Theater erinnerte, wurde irgendwann entfernt. Ein paar Schritte entfernt, ist das Denkmal für Johann Nestroy zu finden.
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