Die 60er Jahre zwischen Prüderie und Freiheitsdrang
von Ein LovelyBooks-Nutzer
Rezension
Hans-Peter reist Mitte der 60er Jahre zu einem Beatles-Konzert nach London, auf dem er sich in die junge Engländerin Ginny verliebt.
Der junge Deutsche, dessen Vater im Krieg gefallen ist und der als kleines Kind mit seiner Mutter bei der einzigen Angehörigen auf der Schwäbischen Alb untergekommen ist, empfindet die britische Hauptstadt als weltoffen und frei - im Gegensatz zur Enge des heimischen Dorfes. Kann er einfach auf der Insel bleiben und ein Leben mit Ginny führen?
Die Familie Ginnys reagiert ablehnend auf Hans-Peter - zu frisch sind noch die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, zu bedrückend die Erinnerungen an Verlust, Schmerz und Zerstörung.
Und schließlich erfährt Hans-Peter auch noch, dass sein Vater Martin Hartmann mitnichten als Soldat gefallen ist, sondern seit Kriegsende auf den Fahndungslisten für Kriegsverbrecher steht.
Bei einer zweiten Reise nach Farringdon Abbey, dem Zuhause von Ginny und ihrer Familie, möchte Hans-Peter nicht nur um Ginnys Hand anhalten, sondern auch reinen Tisch machen und so erzählt er von seinen Nachforschungen zu seinem Vater…
Ricarda Martin hat mit „Winterrosenzeit“ einen berührenden Roman geschrieben, der in den 60er Jahren spielt - also einer Zeit, die noch deutlich prüde geprägt war, gleichzeitig aber durch die Jugend eine Rebellion erlebt. Beatmusik und Rock’n’Roll liegen in der Luft - viele jungen Leute wollen tanzen und die Fesseln von Biederkeit, strengen Regeln und muffigen Kleidungsvorschriften abstreifen und einfach glücklich und frei sein. Dennoch ist die Zeit noch mehr oder weniger stark von den Kriegserlebnissen geprägt. Da scheint es unvorstellbar, dass eine junge Frau mit einem Mann des Tätervolkes eine Beziehung eingeht.
Die Figuren sind wirklich toll gezeichnet - allen voran natürlich Ginny und Hans-Peter, deren Leben nicht unterschiedlicher sein könnte. Ginnys Familie ist adelig und widmet sich seit Generationen mit der Rosenzucht, die die Tochter einmal übernehmen soll. Hans-Peter kommt aus einem schwäbischen Dorf, in dem er wie ein Rebell auffällt - er hat lange Haare, trägt Jeans und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Sein Leben als Jurastudent versucht er sich mit Jobs auf dem Bau während der Semesterferien zu finanzieren. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden scheint ihre Liebe zur Musik der Beatles zu sein.
Die Protagonisten sind sehr glaubhaft, was vor allem daran liegt, dass sie absolut als Kinder ihrer Zeit beschrieben werden. Sie werden mit Problemen konfrontiert, die wir heutzutage nur noch schwer nachvollziehen können, und haben mit den Konventionen ihrer Zeit zu kämpfen. Vermutlich eine Situation, die sich fast jede Generation einmal stellen muss - hier aber ist die Bewältigung des Kriegstraumas ein gewichtiger Punkt, der alles zusätzlich erschwert. Doch die Autorin Ricarda Martin gelingt diese Aufgabe definitiv! Die historischen Fakten und die durch die grausamen Erfahrungen der 30er und 40er Jahre veränderten Menschen fließen in „Winterrosenzeit“ ein und stellen einen herben Kontrast zu den jungen Menschen, die ihr Leben in vollen Zügen genießen möchten.
Fazit: Eine schöne Liebesgeschichte, die in einer eher ungewöhnlichen Zeit, den 60er Jahren, spielt und für berührende Unterhaltung sorgt!