Eine Highschool in Maine: Charlie holt die Waffe aus seinem Spind, erschießt zwei Lehrer und nimmt die Mitschüler in Geiselhaft.
Immer wieder greife ich zu den Büchern von Stephen King und bin jedes Mal überrascht, wie facettenreich seine Romane sind. „Amok“ ist unter dem Pseudonym Richard Bachmann erschienen und wird auf Wunsch des Autors nicht mehr verlegt, weil es mit echten Amokläufen in Verbindung steht. Umso gespannter war ich, was dieser Titel für mich bereit hält und wie brutal Charlies Amoklauf an einer Highschool in Maine enden wird.
King fackelt nicht lang. Bereits nach wenigen Seiten setzt er den Amoklauf von Charlie in Gang. In dem einen Moment wirkt der Junge relativ normal und im Alltagstrott, im nächsten stürmt er ein Klassenzimmer mit einer Waffe in der Hand.
„Wenn alles am schlimmsten ist, dann wirft der Verstand alles in einen Papierkorb und geht für eine Weile nach Florida.“ (S. 29)
Dabei ist die physische Gewalt nebensächlich und auf wenige Seiten reduziert. Charlie nimmt seine Mitschüler als Geisel und setzt damit eine Art Gruppentherapie in Gang. Nach dem der erste Schock überwunden ist, reflektieren die Jugendlichen Charlies Tat und ihren eigenen Alltag mit ihm. Daraus ergibt sich eine Plattform, für viele Themen, welche den jungen Seelen auf der Zunge brennen.
Meiner Meinung nach ist „Amok“ ein starkes Werk von King. Zu Beginn legt sich eine grauenhafte Anspannung über das Buch. Man begegnet Charlie und merkt, dass mit diesem Jungen etwas nicht in Ordnung ist. Aufgrund des Buchtitels wusste ich, in welche Richtung es geht, und erwartete den großen Knall. Als es so weit ist, wird er nüchtern und ohne feudales Gemetzel abgearbeitet. Die Beteiligten versinken in einem Schockzustand und Charlie weiß, dass er zum ersten Mal in seinem Leben die Richtung vorgibt.
Kings treibendes Thema in „Amok“ ist meiner Meinung nach Macht. Es geht um Macht, die andere über uns verüben, die in jeder Person steckt, und die zum Guten genauso wie zum Schlechten das Leben und den Alltag prägt. Hierzu reflektiert er etliche Beziehungskonstellationen und veranschaulicht, dass Macht und Ohnmacht eng miteinander verbunden sind. Es handelt von Erziehung, Sex, Alkohol, Drogen und wie Jugendliche gegen die Macht der älteren Generation aufbegehren. Gleichzeitig zeigt King, dass selbst Erwachsene nicht allmächtig sind, weil sie untereinander in Beziehung und damit in unterschiedlichen Machtpositionen stehen.
Ein Amoklauf wirft sämtliche bisherigen Machtverhältnisse über Bord. Sie liegt voll und ganz bei der einen Person mit der Waffe in der Hand. Die Karten sind neu gemischt und der Autor veranschaulicht, was zu so einer Ausnahmesituation führen kann.
Das Buch ist sehr genial und ausdrucksstark erzählt. Ich bin sofort in Kings Ausführungen abgetaucht und bewundere, wie er ernste Gesellschaftsthemen spielerisch in einen fesselnden Roman verpackt.
Nur am Ende blieb ich ratlos zurück. Es geschieht etwas, was sich zwar abzeichnet, aber nur zu Fragezeichen führt. Entweder kam die Entwicklung zu abrupt oder mir fehlt es am Verständnis dafür. Jedenfalls ist es ein Punkt, der mich wie eine Wimper im Auge stört, was weder durch Reiben, Nachdenken oder dem Austausch mit anderen besser wird.
Meiner Meinung nach hat Stephen King mit „Amok“ einen packenden, ernsten Roman geschrieben. Ich war gefesselt, fasziniert und gespannt, was als Nächstes passiert. Schade, dass das Buch nur mehr gebraucht erhältlich ist, obwohl ich die Beweggründe dahinter nachvollziehen kann.