Cover des Buches Profit (ISBN: 9783453522022)
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Rezension zu Profit von Richard Morgan

Megadüstere Zukunftsvision

von Babscha vor 8 Jahren

Rezension

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Babschavor 8 Jahren

Wir befinden uns im Jahr 2049 in London. So einiges hat sich verändert. Regierungen im klassischen Sinne gibt es nicht mehr. Stattdessen haben international agierende Konzerne vollständig die politische und wirtschaftliche Macht übernommen, kontrollieren sämtliche Staatsorgane und haben demzufolge vollständige Handlungsfreiheit. In jeglicher Hinsicht. Die breite Masse der Nichtbesitzenden ist in abgeriegelten "Zonen" ausbruchsicher weggeschlossen. Die großen Staaten der Welt wurden in den letzten Jahrzehnten bereits quasi handlungsunfähig gemacht. Investmentgesellschaften halten in immer schon schwelenden Krisengebieten wie Mittelamerika die Fäden in der Hand, fluten taktisch die Mittel ihrer Geldgeber genau so an korrumpierte Diktatoren wie an deren oppositionelle Widersacher. Hauptsache die Kasse stimmt. Zur Entspannung begibt man sich als Investmentbanker für einen Drink oder zwei gerne abends auch mal in die brandgefährlichen "Zonen" hinein, wo Anarchie und Elend herrschen. Und der ultimative Kick ist die "Herausforderung". Jeder kann den missliebigen Konkurrenten einer anderen Firma wie auch einen Mitbewerber auf einen guten Posten im eigenen Unternehmen offiziell zum Duell herausfordern, allerdings nicht mehr mit dem Colt auf einer staubigen Ausfallstraße, sondern in einem hochmotorisierten und gepanzerten Wagen auf dem Highway. Bis zum unausweichlich bösen Ende.

Chris Faulkner, die Hauptperson des Buches, ist einer von diesen Investmenttypen und hat vor einiger Zeit im Bereich Conflict Investment bei Shorn Associates angeheuert. Zusammen mit seinem Kollegen und baldigen Freund Mike Bryant managt und korrumpiert er Warlords und Pseudoregierungen in verschiedenen Staaten, immer auf der Suche nach dem höchstmöglichen Profit und permanent beobachtet und bekämpft von Vorgesetzten und Kollegen. Einzig seine norwegische Frau Carla, Pazifistin und Mechanikerin in einer Autowerkstatt, erkennt den Irrsinn der ganzen Situation und plant Veränderungen. Aber die Dinge nehmen ihren Lauf.

Morgan legt mit seinem Roman eine so spannende wie beklemmende und streckenweise echt verstörende Zukunftsvision vor, die irgendwie nicht vollständig abwegig erscheint, wenn man sich die menschliche Natur und die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns mal so durchdenkt. Die abstrusen gesellschaftlichen Verhältnisse sind genau so brutal und inhuman beschrieben wie das Handeln der völlig durchgeknallten herrschenden Kaste, die ihr tägliches abstoßendes Tun mit Drogen, Sex und Alkohol ausblendet. Meisterhaft wird das Buch trotz seiner streckenweise geradezu unmenschlichen und widerwärtigen Beschreibungen der Vorgänge in einer letztlich völlig degenerierten Welt durch die Fähigkeit des Autors, dieser plakativ die ganze Zerrissenheit seiner Handvoll Hauptprotagonisten entgegenzusetzen, denen im tiefsten Inneren der Wahnsinn ihres Tuns durchaus bewusst ist, allem voran hier die fortschreitende Transformation Faulkners. Einen eigenen Stern wert sind dabei die wiederholten, derart intensiv geschriebenen und unter die Haut gehenden Szenen, wenn Chris und seine Frau Carla sich in ihrer auf beiden Seiten letztlich hilflosen Hassliebe immer wieder hoffnungslos umkreisen und in Wortgefechten selbst zerfleischen. Das ist wirklich großes Kino. Trotz epischer Länge hält der Roman den Leser immer bei der Stange und vermag zu fesseln. Bis zum überzeugenden und nicht anders zu erwartenden showdown. Chapeau!
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