Richard Plant

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Lebenslauf

Richard Plant (geboren als Richard Plaut in Frankfurt am Main, gestorben in New York City) war ein deutsch-US-amerikanischer Germanist und Schriftsteller. Nach eigenen Angaben nahm Plaut schon als Jugendlicher eine zweifache Außenseiterrolle ein. Zum einen versuchten die Nazis früh, seinen Vater, der 1913 die Frankfurter Ortsgruppe des Vereins sozialistischer Ärzte mitbegründet hatte und als Vertreter der SPD 1928 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde, durch antisemitische Angriffe zu schädigen, was auch Richards Klassenkameraden nicht verborgen blieb. Zum anderen entwickelte schon der junge Richard wegen seiner erahnten Homosexualität eine ambivalente Beziehung zu seinem Vater, der ihn zur Männlichkeit erziehen wollte. Richard interessierte sich weniger für Turnen und Fußball als vielmehr für Theater, Musik, Literatur und Film. Am 28.2.1933, einen Tag nach dem Brand des Berliner Reichstags, verließ Richard auf Anraten seines Vaters Deutschland und begab sich zur Fortführung seines Studiums in die Schweiz. 1935 legte Richard seine Dissertation unter dem Thema „Arthur Schnitzler als Erzähler“ an der Philosophischen Fakultät der Basler Universität vor. Zusammen mit Oskar Koplowitz und Dieter Cunz, zwei ebenfalls homosexuellen Freunden, die Richard bald nach Basel gefolgt waren und mit ihm zusammenwohnten, verfasste und veröffentlichte er Detektivromane. 1936 brachte Richard Plaut das Kinderbuch „Die Kiste mit dem großen S“ heraus, das im Jahr darauf auch in niederländischer Übersetzung erschien. Im Mai 1938 siedelte Richard auf Anraten des evangelischen Theologen Paul Tillichs nach Amerika über. Im Februar 1947 erhielt Richard eine Anstellung als Lektor für deutsche Literatur am New York City College. 1957 wurde Plaut Associate Professor und 1970 ordentlicher Professor. 1986 erschien Richard, der seinen Nachnamen mittlerweile zu Plaut geändert hatte, ein Buch über die Homosexuellenverfolgung im „Dritten Reich“, das unter dem Titel „The Pink Triangle. The Nazi War against Homosexuals“ 1986 in den USA erschien (dt. „Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen“, 1991). Ursprünglich wollte Heinrich Böll (1917-1985) ein Vorwort zu dem Buch schreiben. Durch „The Pink Triangle“ wurde Plant zu einem nachdrücklichen Chronisten der erschütternden Lebensschicksale und -erfahrungen homosexueller Männer seiner Generation, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden waren. „The Pink Triangle“ kam für Plant aber auch einer Selbstentblößung gleich, und er erhielt im Zuge der Veröffentlichung anonyme beleidigende Anrufe, bis er den Eintrag seiner Nummer im Telefonbuch löschen ließ. In Interviews und Diskussionen im Anschluss an Lesungen aus seinem Buch in den USA wie in Deutschland prägte P. die Worte, er sei „als Jude geflüchtet, um als Homosexueller zu überleben“. (Aus dem Beitrag im Buch zu Leben und Werk Richard Plauts, verfasst von Raimung Wolfert, gekürzt)

Quelle: Verlag / vlb

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Neue Rezensionen zu Richard Plant

Cover des Buches Die Kiste mit dem großen S (ISBN: 9783946392309)
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Rezension zu "Die Kiste mit dem großen S" von Richard Plant

ClaudiaGrothus
Alte Literatur neu veröffentlichen

Vier Kinder, die heimlich versuchen, allein den Haushalt zu schmeißen und nach außen so zu tun, als wäre alles ganz normal. Denn Bertha, die Haushälterin ist krank und die Eltern sind zur Kur gefahren, damit der Papa seinen Rheumatismus auskurieren kann.

Und auch, wenn es für die Älteste, das Hanneli, recht anstrengend wird, scheint ihr Vorhaben – mit ein paar illustren Ausrutschern – zu klappen. Bis die Zwillinge Mutz und Peter entsetzt feststellen, dass im Keller jemand die teuren Glühbirnen für das Seenachtfest aus der Kiste mit dem großen S stiehlt. Damit ihr Plan nicht auffliegt und die Eltern doch ihre Kur abbrechen müssen, sind sich die Kinder einig, den Täter auf eigene Faust zu fassen und die Glühbirnen bis zum Fest zurückzuholen.

Die turbulente und warmherzige Geschichte spielt Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Hanneli versucht ganz schnell erwachsen zu werden, der Peter wird auf Umwegen doch noch Karlis Freund, das kleine Gritli lädt zum ersten Mal zu einem vornehmen Imbiss ein und der Mutz arbeitet als Detektiv am Obststand auf dem Markt.

Ein außergewöhnliches Literaturprojekt

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es in genau dieser Fassung erstmals 1936 erschienen ist, als der jüdische Autor schon aus Deutschland in die Schweiz übergesiedelt war. Dabei ist die Geschichte gänzlich unpolitisch und ein spannender Kinderkrimi.

Was bringen wir auf den Weg, wenn wir Kinderbücher aus vergangenen Zeiten unbearbeitet neuveröffentlichen? Auf jeden Fall wird bei den Leser:innen ein Gefühl für eine Lebenswelt geweckt, aus der es kaum noch Zeitzeug:innen gibt.

Aus heutiger, insbesondere kindlicher Sicht war das beginnende 20. Jahrhundert eine sehr skurrile Welt. Und genau diese wird in „Die Kiste mit dem großen S“ in ihrem Alltag authentisch wiedergegeben. Eine reizvolle und mutige Idee des Gans Verlags.

Ein Roman für Kinder?

Zumindest steht es so auf dem Umschlag. Sollten also Eltern oder Großeltern dieses Buch für ihre Kinder und Enkel kaufen?

Ja und Nein. Wenn man für „Die Kiste mit dem großen S“ überhaupt eine Zielgruppe im Kindesalter formuliert, dann wären zehn Jahre das Mindestalter.

Denn die jungen Leser:innen müssen sich schon ein bisschen intensiver mit dem Buch auseinandersetzen. Es kommen durchgehend Begriffe vor, die einerseits in unserer heutigen Alltagssprache nicht mehr benutzt werden und andererseits dem Schwyzerdütsch oder, in den Illustrationen, auch dem Niederländischen entstammen. Was ist zum Beispiel eine Tram? Wer ist ein Abwart? Und was ist gemeint, wenn das Hanneli „die Nummer dreht“?

Da das Buch gewollt unbearbeitet ist – was ja seinen Reiz ausmacht - kann nicht erwartet werden, dass es z.B. modernen Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit entspricht. Die Geschichte ist voll von historisch korrekten Rollenklischees und es finden sich Aussagen wie, „obwohl sie nur ein Mädchen war.“

Ebenfalls wurde angedeuteter Rassismus unzensiert übernommen. Da erscheint ein sehr unfreundlicher und bedrohlicher Nachbar an der Tür, dem von der kleinen Gritli geöffnet wird:
 „Sie öffnete und erschrak so fürchterlich, dass sie das Schreien vergaß. Vor ihr stand der Unhold aus dem Märchen […] der übrigens eine dunkle Hautfarbe, kohlpechrabenschwarze Locken, schwarze Augen, große Nase und wenige, dafür gelbe Zähne besaß.“

Wenn diese ungeschönte Vergangenheit, entgegen dem Trend, alte Bücher zu „modernisieren“, genauso stehen bleiben soll, wäre es schon etwas unpädagogisch, Kinder mit diesem Buch allein zu lassen.

Dabei ist „Die Kiste mit dem großen S“ für Kinder wertvoll und macht sicher auch Spaß, wenn sie reflektiert gelesen wird. Wenn sie dazu dient, zu erfahren, wie es sich angefühlt haben muss, früher ein Mädchen oder ein Junge gewesen zu sein und welche Vorurteile damals herrschten. Deshalb wäre dieser Roman sehr gut für den Schulunterricht geeignet oder für durch Eltern oder idealerweise Großeltern begleitetes Lesen.

Ein Kinderbuch für Erwachsene?

„Die Kiste mit dem großen S“ ist heute vielleicht eher ein Buch für Erwachsene. Das wird auch durch die ausführlichen Anhänge bestätigt, die von den Biografien des Autors und des Illustrators berichten, welche für Kinder sowohl sprachlich als auch inhaltlich wenig geeignet sind und Hinweise auf Flucht, Hinrichtung und Suizid enthalten.

Auch eine ausführliche und durchaus mitreißende Beschreibung eines Spiels von Mutz und Peter ist etwas fragwürdig: Die Zwillinge inszenieren in der vollen Badewanne einen Sturm und lassen mit einem eingeschalteten Föhn Papierschiffchen über das Wasser schwimmen. Eine gefährliche Anregung für junge Leser:innen.

Und selbst wenn wir 100 Jahre zurückdenken, mutet es merkwürdig an, dass ein gesundes neunjähriges Mädchen in einem Gitterbett schläft, gewaschen wird und beim Essen ein Lätzchen tragen muss. Trotzdem:

Bitte mehr davon!

Es ist eine gute und sinnvolle Sache, historische Romane neu und unangepasst zu veröffentlichen. Zum Ersten, weil wir eine Zeit nur aus sich selbst heraus nachfühlen können und weil der aktuelle „historische“ Trend in Büchern und Filmen mit immer mehr drastischen Anachronismen aufwartet.

Zum Zweiten hat der Wahn des ewig Neuen, den Buchmarkt entstellt und zu einem Verbrauchsmonster mutieren lassen, das permanent Wegwerfgeschichten erzeugt und bei diesem Produktionstempo auch auf immer billigere, schnell und nach Schema F heruntergeschriebene Unterhaltung zurückgreift.

Dabei werden längst geschriebene Geschichten mit der Zeit nicht schlechter. Sie werden interessanter und amüsanter. Sie bieten ein Lern- und Reflexionspotenzial.

Noch etwas zum Autor

Richard Plant, verstand es, Gefühle kindgerecht in Worte zu kleiden. Auf intensive Weise weckt er Emotionen, die wir alle aus der Kindheit kennen. Solche inneren Momente, welche uns formen, unsere Entscheidungen und unser Verhalten beeinflussen, hebt Plant leichthin in eine Intensität, die dabei hilft, sich mit sich selbst und der Welt anzufreunden. Ein besonders schönes Talent, das in der ganzen Geschichte um „Die Kiste mit dem großen S“ liebevoll zum Tragen kommt.

So kontrovers man diese Veröffentlichung auch diskutieren kann, so sehr ist sie zu empfehlen. Die Auseinandersetzung mit der damaligen Zeit und den faszinierenden Illustrationen in einem durch und durch freundlichen Kinderkrimi ist kurzweilig und voller Lesegenüsse.

Dies alles vor dem Hintergrund des Autors, der nach eigener Aussage als Jude geflüchtet ist, um als Homosexueller zu überleben, macht das Buch zu einem geschichtsträchtigen Erlebnis und bringt uns ins Nachdenken. Und genau das soll eine gute Geschichte tun.

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