Cover des Buches Das größere Glück (ISBN: 9783100590244)
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Rezension zu Das größere Glück von Richard Powers

Rezension zu "Das größere Glück" von Richard Powers

von Wolkenatlas vor 14 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 14 Jahren
Eine literarische Sternstunde Der Titel von Richard Powers neuem Roman, „Das größere Glück“, ist symptomatisch für den Zustand des Lesers bei der Lektüre dieses Buches. Ein bewusst aktiver allwissender Erzähler beginnt die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der am Weg zu seiner ersten Unterrichtsstunde an einem College in Chicago ist. Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass der Erzähler dieses Romans eine ganz besondere Funktion hat, die weit über das Erzählen per se hinausgeht. In Russell Stones Klasse findet sich auch die junge Berberin Thassadit Amzwar ein, die sehr bald Dank ihrer Ausstrahlung von ihren Kameraden nur mehr Miss Generosity genannt wird. Ihre sonnige und strahlende Persönlichkeit scheint trotz ihrer harten Vergangenheit im Algerienkrieg und dem Verlust ihrer Eltern keine Traurigkeit zu kennen. Nicht nur das ist auffallend, sondern auch der Umstand, dass jeder, der mit Thassadit Amzwar in Berührung kommt von ihrer Stimmung angesteckt wird. Russell Stone beginnt sich um seine ungewöhnliche Studentin Sorgen zu machen und konsultiert eine psychologische Beraterin, Candance Weld. Eine erste auf Vermutungen und Beobachtungen basierende Diagnose scheint in Richtung Hyperthymie zu deuten. Während sich zwischen Stone und Weld langsam eine Beziehung anbahnt, wird Thassadit Amzwar nach einem Durchsickern der Information über die vermeintliche Diagnose zum Objekt der medialen und wissenschaftlichen Begierde. Richard Powers führt zu diesem Zweck den Wissenschaftler Thomas Kurton ein, der sich mit der Idee beschäftigt, in Zukunft die Gene der Kinder manipulieren zu können, um unangenehme Seiten rechtzeitig entsorgen zu können. Sein Ziel, eine glückliche Menschheit ohne genetische Defekte. Sein Weg ist schmierig und mit allen Mitteln. Eine weitere Protagonistin, die mit Verlauf des Romans immer größere Wichtigkeit erhält, ist Tonia Schiff, quasi Amerikas heißestes Eisen in der wissenschaftlichen Fernsehbranche. Thassadit Amzwar ist nun die Gejagte, die eigentlich nur ihr Leben zurückhaben möchte. In einem Akt der Verzweiflung, erlaubt sie ein Aufeinandertreffen mit Thomas Kurton in Oonas Talkshow, „der wichtigsten Talkshow Amerikas“. Durch den durch Manipulation erreichten Zustand des Publikums wird ihr Auftritt zu einer Art Skandal. Mehr möchte ich über die Handlung nicht verraten, da ich sonst zu viel von dem verraten würde, was der Leser auf seinem Weg selbst entdecken muss. Beeindruckend ist die von Richard Powers geschaffene literarische Welt, die eine ganz eigenartige Verbindung von Wissenschaft und Fiktion als Ausgangspunkt hat. Eine sehr intellektuelle Art der Fiktion, die, wenn man sich daran gewöhnt, subtil berührt. Was in „Das größere Glück“ aber das Tüpfelchen auf dem „i“ ist, ist die Erzählstruktur. „Das größere Glück“ ist nämlich auch ein Roman über das Schreiben. Immer wieder greift der Erzähler, der nicht unbedingt der Autor ist, ein, verschiebt die zeitliche Wahrnehmung und Abfolge, stellt einen Protagonisten in Manier einer Spielfigur zur Seite und verstärkt so auch das fast surreal albtraumhafte Gefühl der permanenten Manipulation. Dieser Erzähler vermittelt auch von Zeit zu Zeit da Gefühl, selbst nicht zu wissen, was eigentlich jetzt passieren wird, bzw. in welche Richtung er die Geschichte weiterentwickeln wird. Ob passiv oder aktive Teilnahme; Richard Powers lässt da immer wieder einen schönen Spielraum frei. Davon abgesehen erzählt der Roman eine zärtlich leidenschaftliche Liebesgeschichte und führt in einer rasant spannenden Koda auf ein so unerwartetes Ende zu, dass man das Buch sprachlos zuklappt. Auch wenn dieses Ende vielleicht ein sehr bewusster gesetzter literarischer Zaubertrick ist, so ist das doch der Punkt, der diesem grandiosen Roman die letzte Stufe zur literarischen Sternstunde öffnet. „Das größere Glück“ ist ein in jeder Hinsicht riesiges Glück für den Leser, eines der absolut besten Bücher der letzten Jahre.
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