Rezension zu "Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens" von Richard Sennett
Der Zug von Millionen Menschen weltweit vom Land in die immer größer werdenden Städte ist ein seit langer Zeit zu beobachtendes Phänomen, mit dem sich auch Stadtplaner und Politiker hierzulande herumschlagen. Denn dieser Sog hat Folgen, nicht nur für die Stadt selbst mit steigenden Mieten und drohendem Verkehrskollaps, sondern auch für die absterbenden ländlichen Regionen im Vorfeld der Stadt. Hier gegenzusteuern, indem man die ländlichen Regionen unterstützt und fördert, wie das Christian Lindner etwa gestern bei einer Wahlveranstaltung in Darmstadt im Rahmen des hessischen Wahlkampfs forderte, schein ebenso richtig wie wirkungslos.
Richard Sennett hat sich als weltbekannter Soziologe sein Leben lang schon Gedanken gemacht über die Stadt und eine angemessene Stadtpolitik. Nun legt er mit „Die offene Stadt“ eine „Ethik des Bauens und Bewohnens“ vor, ein Buch, indem er seine lebenslangen Arbeiten über Stadtpolitik resümiert.
Wie kann eine offene Stadt aussehen, die geprägt ist von Vielfalt und Veränderung – und in der Bewohner Fähigkeiten zum Umgang mit Unsicherheiten entwickeln? Richard Sennett zeigt, warum wir eine Urbanistik brauchen, die eine enge Zusammenarbeit von Planern und Bewohnern einschließt und voraussetzt – und dass eine Stadt voller Widersprüche urbanes Erleben nicht einengt, sondern bereichert.
Sennett bietet viele Beispiele für offene Räume in einer Stadt. Der beschreibt etwa Plätze, die unterschiedlichen sozialen Gruppen Raum bieten, wie es sie überall auf der Welt gibt. Der Autor denkt darüber nach, wie Städte im Sinne der Bewohner jenseits von Immobilienspekulation und Gentrifizierung funktionieren können.
Die Stadt als ein funktionierender Körper, so stellt sich Sennett eine neue Stadtpolitik vor. Für alle, die sich mit Stadtpolitik beschäftigen oder sich dafür interessieren ist sein neues Buch eine unterhaltsame und sehr lehrreiche Lektüre.
Wie man aber dem ungebrochenen Trieb der Menschen vom Land in die Stadt und dem dort drohenden Kollaps einerseits und der Ausdünnung aller sozialen Einrichtungen auf dem Land entgegenwirken könnte, darüber habe ich nichts gefunden in diesem Buch. Aber das war ja auch nicht sein Thema. Ein Thema aber, das bleiben wird, das wurde gestern Abend bei der erwähnten Wahlveranstaltung mehr als deutlich.