Richard Vinen

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Lebenslauf

Prof. Richard Vinen lehrt seit 1991 Geschichte am King's College London, sein Forschungsschwerpunkt ist Europa im 20. Jahrhundert. Er hat zahlreiche Bücher über die jüngere französische und britische Geschichte verfasst. 2018 wird er 55 Jahre alt sein – damit ist er zu jung, um 1968 selbst aktiv erlebt zu haben, was ihn zu einem idealen Biographen dieser Epoche macht.

Quelle: Verlag / vlb

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Cover des Buches Thatcher's Britain: The Politics and Social Upheaval of the Thatcher Era (ISBN: 9781847392091)
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Rezension zu "Thatcher's Britain: The Politics and Social Upheaval of the Thatcher Era" von Richard Vinen

Margaret Thatcher und der "Thatcherismus"
Andreas_Oberendervor 3 Jahren

Margaret Thatchers Rücktritt als Premierministerin Großbritanniens liegt noch kein Vierteljahrhundert zurück, und doch hat die wissenschaftliche Aufarbeitung der Regierung der "Eisernen Lady" bereits begonnen. Das vorliegende Buch des Historikers Richard Vinen versteht sich als Überblicksdarstellung und Zusammenfassung des heutigen Kenntnisstandes. Es richtet sich laut Vorwort an Leser, die die Thatcher-Jahre nicht selbst miterlebt haben. Das Buch ist keine Biographie, auch wenn Margaret Thatcher erwartungsgemäß einen bedeutenden Platz in der Darstellung einnimmt. Vinen geht es weniger um die Person der Premierministerin und mehr um den sogenannten "Thatcherismus". Dieses Schlagwort wurde schon in den 1980er Jahren geprägt, und Vinen geht der Frage nach, was den Thatcherismus eigentlich ausmacht.

Vinen ist sich bewusst, dass Thatcher auch heute noch polarisierend wirkt, und deshalb bemüht er sich ausdrücklich um eine "leidenschaftslose" Betrachtungsweise. Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Es orientiert sich an Thatchers Karrierestationen und einzelnen Höhepunkten ihrer elfeinhalbjährigen Regierungszeit. Vinen konzentriert sich ganz auf die politische Führung - Thatcher, die Spitzen der Konservativen Partei, die wichtigsten Kabinettsmitglieder, intellektuelle Stichwortgeber im Umkreis von Parteiführung und Regierung. Vinen interessiert sich vor allem für die Dynamik zwischen Thatcher, einer Frau ohne intellektuelle Tiefe und originelle Ideen, und den Politikern, die 1979 zusammen mit ihr an die Macht gelangten und fortan versuchten, ein in Lethargie und Selbstzweifeln versunkenes Land wiederaufzurichten.

In den ersten Kapiteln verfolgt Vinen Thatchers Karriere bis zum Wahlsieg der Konservativen 1979. Er fügt dem, was man in zahlreichen Thatcher-Biographien bereits lesen konnte, nichts Neues hinzu. Schon mehrfach wurde beschrieben, welchen Umständen Thatcher ihren überraschenden Aufstieg an die Spitze ihrer Partei zu verdanken hatte. Ausschlaggebend war das Scheitern des glücklosen konservativen Premiers Edward Heath (1970-74) und die Erkenntnis einflussreicher Parteigranden, dass nach jahrelangem erfolglosem "Durchwursteln" neue und radikale Mittel nötig waren, um Großbritannien aus seiner schweren Krise herauszuführen. Ein Bruch mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Labour und Konservative seit 1945 betrieben hatten, war unumgänglich. Thatcher und ihre Gesinnungsgenossen sahen den Ausweg aus der Krise darin, dem Markt mehr Freiheit zu geben, die Staatsausgaben zu senken, den Großteil der in Staatsbesitz befindlichen Industrien zu privatisieren, Hilfszahlungen für notleidende Unternehmen und Wirtschaftszweige einzustellen und die Macht der Gewerkschaften zu brechen. Die durchsetzungsstarke und konfrontationsbereite Premierministerin ließ sich von den absehbaren Konflikten mit Arbeitern und Gewerkschaften weder abschrecken noch beirren. Thatcher sah es als ihre ganz persönliche Mission an, Großbritannien aus dem Würgegriff des "Sozialismus" zu befreien.

Die neue Regierung konnte ihre Vorhaben nicht sofort und nicht auf einen Schlag umsetzen. In der ersten Amtsperiode (1979-83) stand die Bekämpfung der Inflation im Vordergrund. In drastischer Abkehr vom bisherigen, für beide Parteien verbindlichen Konsens wurde der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aufgegeben, damals ein geradezu schockierender Tabubruch. Marode Unternehmen und Branchen ohne wirtschaftliche Zukunft erhielten keine staatlichen Subventionen mehr. Erst nach dem Sieg im Falklandkrieg 1982 und dem zweiten Wahlsieg 1983 saß Thatcher so fest im Sattel, dass sie weitere Elemente der konservativen Agenda umsetzen und Veränderungen einleiten konnte, die eine neue Labour-Regierung nicht oder nur mit Mühe hätte rückgängig machen können. Der große Bergarbeiterstreik von 1984/85 endete mit einem Sieg der Regierung. Die bis dahin starke - zu starke - Gewerkschaftsbewegung spielte fortan keine Rolle mehr; ihr Rückgrat war gebrochen. Mit Privatisierungen, Steuersenkungen und der Deregulierung des Finanzplatzes London leiteten Thatcher und ihr Schatzkanzler Nigel Lawson den Wirtschaftsboom der späten 1980er Jahre ein.

Weitere Kapitel sind Thatchers Europapolitik, dem Scheitern des Thatcherismus in Wales und Schottland, dem Nordirland-Konflikt und dem Sturz der Premierministerin im November 1990 gewidmet. Am Ende steht eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Thatcherismus. Neben feststehenden Elementen (Liberalisierung der Wirtschaft; Verschlankung des Sozialstaates; Senkung der Inflation) gab es auch Ziele, die erst durch veränderte Umstände auf die Tagesordnung gelangten. Thatcher, in den 1970er Jahren noch europafreundlich, und Teile der Konservativen Partei vollzogen in der Europapolitik einen abrupten Kurswechsel (Ablehnung einer weiteren Integration Großbritanniens in die EG), als sich die Wirtschaftslage spürbar verbessert hatte, der Ostblock zu zerfallen begann und eine enge Anbindung an Europa nicht mehr nötig und wünschenswert schien. Der Streit über Großbritanniens Rolle in Europa spaltet Thatchers politische Erben bis heute. Vinen grenzt den Thatcherismus vom Neoliberalismus späterer Jahre ab. Weder stand Thatcher für einen vollkommen unregulierten Markt, noch wollte sie je den britischen Sozialstaat abschaffen. Bei aller Ungeduld, bei allem Reformeifer wusste Thatcher auch Maß zu halten.

Vinens Ton ist so leidenschaftslos, sachlich und nüchtern, dass sein Buch bisweilen spröde und blutarm wirkt. Die Dramatik der Thatcher-Jahre wird nur ansatzweise greifbar. In einem Epilog geht Vinen auf die Quellen ein, die zur Erforschung der Thatcher-Zeit schon jetzt zur Verfügung stehen und in Zukunft zur Verfügung stehen werden. Als das Buch 2009 erschien, wurden nach Ablauf der 30jährigen Sperrfrist gerade die ersten Akten der Thatcher-Zeit freigegeben. Vinen ist der Ansicht, dass der sukzessive breiter werdende Zugang zu den Archiven das Bild von Thatchers Politik nicht wesentlich verändern wird. Zahlreiche politische Akteure der Thatcher-Jahre haben seit 1990 Autobiographien, Memoiren und Tagebücher veröffentlicht. Wer in erster Linie an der Innenperspektive der Thatcher-Kabinette interessiert ist, dem bieten diese Quellen ein Bild, das durch Archivmaterial ergänzt und vertieft, aber wohl nicht grundsätzlich verändert werden kann. Alles Wesentliche über die Vorgänge an der Spitze des politischen Systems ist bereits bekannt. Vinen kann sich einen kritischen Seitenhieb nicht verkneifen. Er verweist darauf, dass sich die Autobiographien und Memoiren von Thatchers Mitstreitern und Gefolgsleuten in vielen - auch wichtigen - Punkten widersprechen. Für Historiker ist das eine willkommene Erinnerung daran, dass Selbstzeugnisse mit Vorsicht und Umsicht benutzt werden müssen, gerade wenn sie von Politikern stammen. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Januar 2014 bei Amazon gepostet)

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