Cover des Buches Easter Parade (ISBN: 9783421042613)
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Rezension zu Easter Parade von Richard Yates

Rezension zu "Easter Parade" von Richard Yates

von HeikeG vor 17 Jahren

Rezension

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HeikeGvor 17 Jahren
In der Sackgasse oder Spielarten der Einsamkeit Ein Gefühl der Traurigkeit durchzieht diesen Yates-Roman wie eine schwermütige Musikuntermalung, ohne jedoch einen melancholischen Zauber zu verbreiten. Hinter der Fassade amerikanischer Durchschnittsfamilien entlädt sich die ganze Tragik einer nie akzeptierten Mittelmäßigkeit: Esther, genannt Pookie, die Mutter der beiden Schwestern Sarah und Emily Grimes, ist eine Künstlerin der Selbsttäuschung. Nach der Scheidung schleppt sie ihre Töchter durch dutzende Städte, immer auf der Flucht vor Geldmangel, beruflichen und privaten Rückschlägen. Die Kluft zwischen behauptetem Glück und realem Unglück wird immer auffälliger und zieht Esther immer mehr in die "Beruhigung" des Alkohols. Sarah, die ältere Tochter, wandelt sich von einem schönen Mädchen zur glücklichen Ehefrau und Mutter und schließlich zur dicklichen Matrone. Hinter einem Leben, das wenig Glamour besitzt, aber nach wohliger Hausfrauen-Existenz aussieht, wird langsam eine andere Wahrheit sichtbar: ein prügelnder Mann und Sarahs Fortsetzung des familientraditionellen Trinkens. Die eigentliche Hauptperson, aus deren Perspektive Yates erzählt, ist aber die jüngere Schwester Emily. Sie gewinnt ein Stipendium, wird Journalistin und Werbetexterin und führt ein modernes Intellektuellen-Leben in New York, mit wechselnden Affären, Partys, vielen Zigaretten und Drinks. Sie lernt, ein wenig auf ihre Mutter und Schwester hinunterzuschauen. Bis auch sie abzustürzen zu beginnt: Plötzlich sieht Emily im Spiegel "das Gesicht einer Frau in mittleren Jahren in seiner schrecklichen und hoffnungslosen Bedürftigkeit", der Alkohol wird zur lebenswichtigen Stütze, der soziale Abstieg beginnt, mit ihm das Alleinsein und der missgünstige Blick auf das kleine Glück anderer. Kurz: Die eine führt in eine ausweglose Ehehölle, die andere verfällt in die trübselige Isolation alt gewordener weiblicher Singles. In kurzer, scharfer, kraftvoller, aber dafür umso prägnanterer Prosa ohne Schnörkel und fast emotionslos berichtet Yates aus dem Leben der beiden Grimes-Schwestern. Vergleichbar mit einem Karikaturisten oder Cartoonzeichner skizziert er Szenen aus dem Leben der beiden Frauen, die jedoch äußerst klar und präzise das Wesentliche erfassen und aufreißen und alles Wichtige enthalten. Es sind Sätze, die immer etwas im Raum stehen lassen, etwas andeuten, aber nie zu Ende interpretieren. Dies überlässt Yates ganz geschickt dem Leser, der nach der Lektüre einigermaßen verstört zurückbleibt. Es liegt eine unvergleichliche Stimmung aus tiefem Mitgefühl und entlarvender Präzision über Yates' Schreiben. Doch Richard Yates verurteilt seine gescheiterten Figuren nicht - ebenso wenig wie er sie der Lächerlichkeit preisgibt. Yates lotet meisterhaft alle Spielarten der Einsamkeit aus, vielleicht weil er selbst der Prototyp seiner Figuren war (1992 psychisch zerrüttet und alkoholkrank gestorben). Seine Roman-"Helden" sind alle auf ihre Art unentrinnbar allein und darin liegt ihre Tragödie. Dieses Alleinsein wird jedoch - den Schein wahrend - verwischt: "Mir geht's gut.", "wunderbar", "Das hat Flair", "Ist schon okay" oder "Ich verstehe" sind immer wiederkehrende Standardsätze der beiden Grimes-Schwestern. Am Ende resümiert Emily: "Ich bin fast fünfzig Jahre alt, und ich habe noch nie im Leben irgend etwas verstanden.", und bringt damit ihre Ratlosigkeit und völlige Überforderung mit diesem Leben zum Ausdruck. Fazit: "Easter Parade" ist ein literarisches Kleinod über das Scheitern weiblicher Glücksbestrebungen, in dem aber auch die Männer kein gutes Bild abgeben. Yates erzählt eine eher belanglose Geschichte eines sich nicht erfüllenden amerikanischen Traums vom Glück. Was den Roman aber so eindrucksvoll und überaus lesenswert macht, ist die interessante und unterhaltende Schilderung des wenig spektakulären Alltags zweier Schwestern. Mit präzisen Spots setzt Yates immer wieder den Bereich zwischen Wollen und Können ins Licht, ausschnitthaft und so geschickt, dass jedes Mal das ganze erschreckende Ausmaß dieses peinvollen Feldes spürbar wird. Er beleuchtet auf sehr bewegende Art fehlbare ganz alltägliche Menschen und zeichnet ein Bild einer typischen Durchschnittsfamilie und ihrer perfekten Welt nach außen, die sich nach innen ganz anders darstellt. Trotz allem ist "Easter Parade" kein deprimierendes Buch, allein aus dem Grunde, da sein Autor stets ein Gespür für die Komik hinter der Tragik hat. "Easter Parade" ist ein authentischer Roman voller glaubhafter Charaktere und von glasklarem Realismus.
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