Rezension zu "Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares" von Fernando Pessoa
Pessoa, ein Verwandlungskünstler. Drei gleich er! Doch seine Sprache ist immer atemberaubend - fünf Sterne unbedingt auch für dieses Buch!
Pessoa, ein Verwandlungskünstler. Drei gleich er! Doch seine Sprache ist immer atemberaubend - fünf Sterne unbedingt auch für dieses Buch!
Fernando Pessoa, dessen umfangreicher Nachlass mit akribischer Gründlichkeit übersetzt und im Laufe der Jahre neu herausgegeben wird, hat mit Alvaro de Campos das Heteronym geschaffen, das ihm am nächsten ist. De Campos wandelt sich im Laufe seines fiktiven Lebens vom glühenden Verehrer des Maschinenzeitalters zum Existenzialisten, dessen Themen in erster Linie aus der Vereinsamung des Menschen und seinem Scheitern gespeist werden. Dass seine Poesie so gewaltig und einnehmend ist wie in den Oden (Meeres-Ode, Triumph-Ode) macht den Leser sprachlos, die verbale Raserei steht ganz im Gegensatz zum nach innen gekehrten de Campos, dessen Konflikt zwischen Herz und Seele der existenzielle Zug in seiner Dichtung ist, die ihn fast zum Melancholiker werden lässt.
In diese Auflage mit aufgenommen wurden einige Prosatexte, so auch das "Ultimatum", das nach Veröffentlichung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten verboten wurde, weil es die Abrechnung mit Europa sehr heftig gestaltete.
Pessoa ist ein Schriftsteller/Poet/Denker, dessen Welt sich nicht einfach und schon gar nicht mithilfe eines Buches erschließt. Er ist ein Autor, den man entdecken muss, den man nicht hintereinander lesen kann und der die volle Aufmerksamkeit und Konzentration fordert. Dann jedoch erschließt sich dem Leser ein ganzer Kosmos und vor allem wird er von selbst anfangen zu denken, abzuwägen, zu verstehen und zu übersetzen, wie viel uns dieser Mann hinterlassen hat. Es wäre sicher vermessen, von ihm als literarisches Genie zu reden, dass er aber in die Reihe der ganz Großen gehört, ist unbestreitbar. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Pessoa ist alles andere, nur nicht verschwendete Zeit.
"Über den inneren Sinn der Dinge grübeln ist so müßig wie an die Gesundheit denken oder ein Glas zum Quellwasser tragen". Das ist einer der Grundgedanken in der Dichtung Alberto Caeiros, ein weiteres wichtiges Heteronym des portugiesischen Nationaldichters Fernando Pessoa. Caeiro hebt sich von seinen Mitstreitern ab, denn er ist ein Verfechter der logischen Schlichtheit. Für ihn ist die Existenz nur fassbar durch Sehen und Erleben von Dingen. Das Leben kann man nicht durch Denken erfassen, Denken heißt Nicht-Leben. Es ist die Konzentration auf die einfache und unverstellbare Wahrnehmung ohne Fragen. Das bezieht sich auch auf die religiösen Aspekte, denn er verlässt die ganze Gaubensgeschichte für eine Vermenschlichung des Gotthaften und tut dies mit einem deutlichen Seitenhieb auf die katholische Kirche. "Meine Mystik besteht aus Nichtwissen wollen. Sie heißt: Leben und nicht daran denken". Das Glücksgefühl durch eine ungedeutete Gegenwart.
Die Texte lesen sich auch dadurch leicht, da sie inhaltlich nicht überfrachtet werden müssen. Fast schon wie ein Mantra zieht sich der Grundgedanke der nicht hinterfragbaren Existenz durch Caeiros Werk.
Ergänzt durch ein "Interview" und interessanten sieben Bemerkungen zum Nichtwissen von Georg Kohler ist die eher minimale Ausbeute des kurzen Schaffens von Caeiro ein zentrales Werk im Repertoire Pessoas. Auch hier wird das portugiesische Original mitgeliefert und erscheint in der gewohnt sorgfältigen und ausfühlichen Bearbeitung des Pessoa-Teams, das sich durch die Werke dieses unglaublichen Literaten gearbeitet hat. Ein leichter, lebensbejahender Pessoa, ganz sicher ein zentraler Teil seiner Arbeit.
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