Cover des Buches Die 13te Sonne (ISBN: 9783981692976)
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Rezension zu Die 13te Sonne von Rico Gehrke

Wie wirklich ist die Wirklichkeit

von buchwanderer vor 6 Jahren

Rezension

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buchwanderervor 6 Jahren
»Um aus dem Netz zu entkommen, muss der Fisch drei Voraussetzungen erfüllen. Erstens, er muss springen können. Zweitens, er muss springen wollen und drittens, vor allem muss er im Netz sein.«“ (Pos.276)

Zum Inhalt:


Eine weitere ebenso normale wie – bei Licht betrachtet – absurde Schlacht in einem der schon zur Normalität gewordenen Kriege verfeindeter terranischer Interessensgemeinschaften sollte es werden; bis zu dem Punkt auf der Zeitlinie, an dem die Verkettung unwahrscheinlichster Kausalitäten das Gefüge von Raum, Zeit, Realität und dem ganzen Rest in eine Mixtur verwandeln sollte, in der sich keiner der Akteure auf mehr als das – scheinbar reale – Hier und Jetzt zu fokussieren vermag.

Denn darüber hinausgehend öffnet sich ein Raum von Möglichkeiten Gegenwarten zu erleben, Vergangenheiten zu denken und Zukünfte zu extrapolieren, die weit außerhalb – oder wo auch sonst immer – des Begreifbaren, des Ertragbaren und des Übers(t)ehbaren ein wie auch immer geartetes Dasein einfordern. Fokus der Geschichte ist dabei ein an sich nicht sonderlich „aufregender“ Planet dessen Namen wechselt, je nachdem welche Rasse man nach demselben fragt. Doch Unuto, so der gebräuchlichste der Namen, entpuppt sich als Brennpunkt einer Linse von der niemand mit Sicherheit sagen kann, in welchem Raum, welcher Zeit oder gar welcher Realität in einem schier endlos erscheinenden Multiversum sie sich manifestiert.

Die Crew der Mercury Pirate wird durch dieses Kaleidoskop an inkohärenten Möglichkeiten gezogen, getrieben, geschleift. Und was sie entdecken kostet nicht nur Leben – wie auch immer man die zu definieren gewillt ist –, es kostet auch den zentralen Fels jeder menschlichen Existenz: den Sicherheit verheißenden Glauben an eine kontinuierliche Verlässlichkeit der umgebenden Gegenwart. Dabei beschränkt sich die Auswirkung der Wellen, welche die Ereignisse auf Unuto und im Rest der Galaxie schlagen nicht etwa nur auf die stets selbstverliebten Terraner, die in ihrer Nabelschau die Möglichkeit einer Koexistenz mit außerirdischem Leben nur selten in Betracht ziehen. Es sind eben diese extraterrestrischen Intelligenzen, Kulturen, Rassen, für die die Erdenabkömmlinge bestenfalls eine vorübergehende Erkältung des Planeten darstellen, jedoch mit den Nachwehen derselben man leben muss.

Fazit:


Der Begriff Saga kommt mir nicht allzu häufig über die Lippen resp. die Tastatur, aber in diesem Fall wird er dem über 1000 Seiten starken Wälzer – und v.a. der inhaltlichen Komplexität – am ehesten gerecht. Rico Gehrke hat eine hochkomplexe Geschichte entworfen, die einen erfrischenden Kontrapunkt zu oft drögen Zeitschleifenspielereien darstellt. Man sei gewarnt: einfach zu lesen ist der teils verworren erscheinende Text keinesfalls und nicht selten stellt sich ein Zustand ein, in dem sich einem der eigene Geist darstellt, als hätte man ihn mal eben so durch einen Fleischwolf oder eine Singularität gedreht.

Lässt man sich auf Erzählstil und Gedankengänge Gehrkes ein, steht nicht erst am Ende ein aufrüttelndes, in Frage stellendes, v.a. aber nachhallendes Leseerlebnis an, welches nicht einfach einzuordnen ist auf der Standardskala zwischen „geht so“ und „bin begeistert“. Ebenso wie die Realität den „Helden“ der Geschichte, entzieht der Text sich im positivsten Sinne einer platten Schubladisierung in Standard-Zeit-Raum-Reise-SF. Neben gesellschaftspolitisch anklingenden Kritikpunkten, bekommt auch wenig versteckt resp. subtil ein in realiter durchwegs präsenter religiöser Wahn „sein Fett weg“.

Bei alle dem sei noch erwähnt, dass Rico Gehrke dies alles auf einem sprachlich sehr hohen Niveau, mit einer erzählerischen Fertigkeit bewerkstelligt, die ihresgleichen im deutschsprachigen Bereich dieses Genres sucht. Es kann durchwegs als meisterhaft, einfühlsam, bildgewaltig und virtuos bezeichnet werden, wie die Szenarien der Welt rund um und auf Unuto und jene der Charaktere sprachlich gebannt werden. In jedem Fall ist dieses Buch eine klare Leseempfehlung wert.


(1) Alle Angaben, sowohl Seiten-/Positionsnummern, wie auch technische Details, beziehen sich auf die eBook-Ausgabe des Rezensionsexemplares
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