Cover des Buches Brüder für immer (ISBN: 9783958540682)
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Rezension zu Brüder für immer von Rindert Kromhout

Wenn Heldenbilder Risse kriegen...

von Aspasia vor 7 Jahren

Rezension

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Aspasiavor 7 Jahren
Ich bin ein Fan der legendären Bloomsbury Group, jener Truppe von vielseitig begabten Malern, Kunstkritikern, Verlegern, Schriftstellern und Wissenschaftlern um die Schwestern Virginia und Vanessa Stephen, ihren Ehemännern, Liebhabern, Freundinnen und Freunden, die Anfang des 20. Jh. zusammen arbeiteten, feierten, liebten und stritten. Die für diese Freiheit ganz sie selbst sein zu dürfen kämpften, einen Kampf, der ihnen wichtig war als Künstler und Mensch. Ihr Einfluss auf die Bildende Kunst, die Literatur und die Gesellschaft in England und darüber hinaus ist beispielhaft. Sie sind wegweisend für viele Künstlergenerationen nach ihnen.

Dieser Jugendroman des preisgekrönten niederländischen Schriftstellers Rindert Kromhout will einen Einblick geben in die Welt dieser verschworenen Künstlergemeinschaft, deren Ansichten, Wertevorstellungen und Lebensformen von denen ihrer Zeitgenossen abwichen und die Stolz auf ihr Anderssein waren.

Kromhout erzählt die Geschichte der Familie Bell aus der Perspektive des jüngsten Sohnes der Malerin Vanessa Bell und ihres von ihr in Freundschaft getrennt lebenden Ehemann es und Verlegers Clive. Quentin, schon als Kind ein ambitionierter Autor und Chronist seines Umfelds, heute als renommierter Kunsthistoriker, Kritiker, Autor und als „der Virginia Wolfs Biograph“ anerkannt, hat mit 17 Jahren seinem idealistischen, älteren Bruder Julian kurz vor dessen freiwilligen Eintritt in den Spanischen Bürgerkrieg versprochen, sollte er dort sterben, ein Buch über ihn zu schreiben. Dieses fiktionale, literarische Denkmal für den geliebten Bruder und besten Freund ist der vorliegende Jugendroman.

Der zum Abschied geschworene und Titel gebende Ausspruch „Brüder für immer“ erzählt das Leben der Familie in Charleston Farmhouse. In dieses malerische, aber komfortlose Landhaus in der Grafschaft Sussex sind die Brüder und ihre jüngere Schwester, Angelika, mit ihrer Mutter und Duncan Grant, einem homosexuellen Malerkollegen, gezogen, als Quentin 6 Jahre alt war. Der Ort befindet sich nur wenige Kilometer von Monk’s House, in dem Tante Virginia Wolf, eine heute weltbekannte Schriftstellerin der klassischen Moderne, mit ihrem Mann, Leonard, lebt. Mit ihm zusammen führt sie den Hogarth Press Verlag, der ihre und Bücher von Freunden wie E.M. Forster verlegt, deren Bucheinbände wiederum von Vanessa gestaltet werden.

Quentin erzählt rückblickend von den 12 Jahren, die er als Bewohner in dieser doch sehr eigenen Welt, in der die Kinder zum kritischen Denken und künstlerischer Entfaltung ermutigt werden, in der der Papa in London lebt und mit seinen Freundinnen zu ihnen zum Essen kommt, in der die Erwachsenen und Kinder gemeinsam stundenlang Theater spielen und Männer Männer lieben, gelebt hat.

Er erkennt mit zunehmenden Alter, dass seine „erweiterte“ Familie anders ist als die der anderen, und dass sie es der Welt außerhalb auch nicht unbedingt einfach macht sie zu verstehen. Er begreift, dass das Paradies seiner Kindheit, auch eine Art Kokon war. Als die in der Ferne heraufziehenden politischen Veränderungen in Europa in seine Welt eindringen und seine familiäre Helden auch nur Fehler behaftete Menschen sind, die ihren eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht werden können, erkennt er, dass zum Erwachsenwerden auch Veränderung, ob gewollt oder ungewollt, gehören, und dass die nie ganz schmerzfrei sind.

Ich finde Kromhout gelingt es gut den jugendlichen Leser an Quentins persönlicher Entwicklung teilhaben zu lassen, durch seine Augen einen Blick auf sein bohemienhaftes, künstlerisches und freigeistiges Umfeld zu werfen, die Ideale vertraten, die heute immer noch aktuell sind. Bemerkenswert finde ich die altersgerechte Darstellung der Zusammenhänge der politischen Veränderungen in Europa.

Mir persönlich fehlen aber Informationen zur Besonderheit des künstlerischen Schaffens der Gruppe. Den erläuternden Anhang finde ich unbefriedigend, wenn er denn Interesse an den historischen Personen wecken soll, hätte ich gerne mindestens Kurzbiographien gelesen. Außerdem hätte ich mir noch etwas Bild- und Kartenmaterial gewünscht. Zu guter Letzt frage ich mich und vielleicht auch der ein oder andere jugendliche Google-Nutzer, trotz zugestandener literarischer Freiheit des Autors, warum gerade Julians schriftstellerische Leistung, keine Erwähnung findet.


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