Rezension zu "Reich durch Hartz IV" von Rita Knobel-Ulrich
Journalisten suchen Geschichten, die das, was sie für die Wahrheit halten, zu Lesern oder Zuschauern transportieren sollen. Nicht selten und meistens auch gewollt provoziert eine solche Vorgehensweise, weil Zustände oder Vorgänge aus einem subjektiven und gelegentlich auch schiefen oder einseitigen Blickwinkel dargestellt werden. Das ist in diesem Buch nicht anders.
Obwohl die Autorin am Anfang des Buches ausdrücklich ehrliche und unverschuldet in diese Lage gekommene Hartz4-Empfänger generell aus ihren Betrachtungen ausschließt, gerät das irgendwann in Vergessenheit, denn später werden punktuell nur noch Fälle geschildert, bei denen in den Leuten, die dieses Programm mit ihren Steuern bezahlen, Wut aufsteigen muss. Auf der anderen Seite stellen solche Schilderungen natürlich nicht die ganze Wahrheit dar, sodass sich manch ein Hartz4-Empfänger vielleicht stigmatisiert fühlen kann.
Aber ungeachtet dessen legt die Autorin natürlich schonungslos gesellschaftliche Probleme auf den Tisch, die leider nicht mehr rational und offen diskutiert werden können, obwohl das bitter nötig wäre, denn der Sozialetat Deutschlands macht einen großen Teil des Staatshaushalts aus. Allein die Auftritte der Autorin in Talkshows und die unsachlichen und emotionsgeladenen Reaktionen auf ihre Argumente zeigen, dass die Befürworter des fürsorglichen Staates keinerlei ernsthafte und ergebnisoffene Diskussionen über Sinn oder Unsinn des Hartz4-Systems zulassen wollen. Ganz am Schluss des Buches kann man übrigens Reaktionen von Zuschauern nachlesen. Manches davon ist nur noch schwer verdaulich.
Die Autorin weist auf drei wesentliche Probleme hin: Erstens lädt das Hartz4-System viele Menschen zum Betrug ein, weil es für eine Leistung keine Gegenleistung fordert. In diesem Zusammenhang schildert die Autorin am Ende des Textes das völlig entgegengesetzte niederländische Modell. Zweitens bemängelt sie die katastrophale Ineffizienz der völlig überdimensionierten Nürnberger Bundesbehörde. Arbeitslosigkeit wird nicht bekämpft, sondern verwaltet. Nachprüfbare Vermittlungszahlen werden schon lange nicht mehr veröffentlicht.
Stattdessen kann man sich leicht von der unglaublichen Mittelverschwendung überzeugen. Und darauf bezieht sich der Titel dieses Buches. Arbeitslose werden mit irgendwelchen, meistens schwachsinnigen und am Arbeitsmarkt in der Regel vorbeigehenden Maßnahmen zur angeblichen Weiterbildung oder mit Motivationskursen überzogen, die nur den sogenannten Bildungsträgern Geld in die Kasse spülen. Leider spürt man aber auch bei diesem Buchtitel den Hang zur Provokation, denn Leute die Hartz4 beziehen, werden damit gewiss nicht reich.
Und drittens sei der Abstand zwischen einer Arbeit im Niedriglohnsektor und Hartz4 zu gering. Dass Menschen das einfach nachrechnen und sich dann für die bequemere Variante entscheiden, muss man bei realistischer Betrachtungsweise erwarten.
Schließlich rechnet die Autorin noch mit den Sozialverbänden und hier insbesondere mit der von ihnen ins Spiel gebrachten Armutsdefinition ab, die ganz offensichtlich nur agitatorischen Belangen dient und in sich völlig blödsinnig ist. Arm ist nämlich danach, wer weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verdient. Aus dieser Herangehensweise folgt messerscharf, dass die Hälfte aller Einwohner einer Eigenheimsiedlung arm sein muss. Und wenn alle nichts mehr haben, ist sowieso das Paradies erschaffen, denn dann ist keiner mehr arm. Dieser relative Armutsbegriff, der nur dazu da ist, die Existenzberechtigung einer ganzen Fürsorgebranche zu rechtfertigen, steht in keinem Verhältnis zu wirklicher, nämlich absoluter Armut. Deutschland steht mit dieser eigenwilligen Definition von Armut in vorderster Linie der armutsgefährdeten Staaten. Wahrscheinlich streben deshalb so viele Menschen hierher.
Mit den Relationen hat aber auch die Autorin Schwierigkeiten, denn liest man den Titel und den Klappentext, dann denkt man, dass es in diesem Buch vor allem um Unternehmen geht, die das Hartz4-System gnadenlos für ihre eigenen Belange nutzen. Einen großen Teil des Textes machen jedoch Schilderungen von Einzelfällen lustloser Hartz4-Empfänger oder Betrüger aus. Dazu kommt dann noch das Problem in die Sozialsysteme eingewanderter Migranten und ganzer Hartz4-Dynastien, denen der fürsorgliche Staat Steuergeld hinterher wirft.
Es wäre schön gewesen, wenn statt dieser punktuellen Schilderungen auch einmal Zahlen recherchiert worden wären. Wie groß der Anteil solcher Betrügereien ist, bleibt im Dunkeln. Das macht eine wirkliche Beurteilung der Lage schwer. Klar ist jedoch (und das erklärt die Autorin sehr gut an diesen Einzelfällen), dass das gegenwärtige System mehr Probleme dauerhaft erzeugt, als es sie löst.
Am Ende des Buches schlägt die Autorin ein anderes System vor, das dem niederländischen ähnelt. Und damit geht sie einen vernünftigen Weg. Es hat wenig Sinn, sich über Betrug aufzuregen. Vielmehr geht es doch darum, zu überprüfen, ob ein System, das einen Betrug offenbar leicht macht, das leistet, wozu es erschaffen wurde. Und darüber und nicht über punktuell Erlebtes muss man sachlich und rational diskutieren können. Immerhin bietet dieses Buch dazu einen Anlass, wenngleich es mich von der Anlage und seinen inhaltlichen Proportionen nicht völlig überzeugt hat.