Cover des Buches Das dunkle Paradies (ISBN: 9783865323552)
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Rezension zu Das dunkle Paradies von Robert B. Parker

Tougher than the Rest

von Stefan83 vor 11 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 11 Jahren

Robert B. Parkers Roman „Das dunkle Paradies“, der Auftakt der Serie um den Kleinstadt-Polizeichef Jesse Stone, erschien erstmalig im Jahr 1997. Ein Jahr später folgte die deutsche Übersetzung durch Robert Brack im Rowohlt-Verlag, der kurz darauf die Herausgabe weiterer Werke des Autors einstellte. Nun nimmt Pendragon, welcher sich in der Vergangenheit vor allem auf die späten Titel um den Bostoner Privatdetektiv Spenser konzentriert und zuletzt erst den Standalone „Wildnis“ neu veröffentlicht hat, den Faden wieder auf. Mit „Das dunkle Paradies“ (eine gute Entscheidung, den alten, weil treffenden Titel beizubehalten) und „Terror auf Stiles Island“ serviert uns der Bielefelder Verlag gleich zwei Stone-Bände auf einmal, in dem Bestreben auch die restlichen acht Bände folgen zu lassen. Eine gute Nachricht, erlebt der Leser hier doch eine Rückbesinnung auf die klassischen Motive des „Hardboiled“-Novels durch Parker, der auf die für Spenser so typischen lakonischen Frotzeleien verzichtet und dessen offensiv ausgestellter Coolness er die eiskalte Zurückhaltung Stones entgegenhält. Herausgekommen ist ein rasiermesserscharf geschnittener Plot. Ohne Haken und Ösen, gerade und zielstrebig wie ein amerikanischer Highway und tiefgründig wie der Pazifische Ozean, an dessen Ufer der Roman seinen Anfang nimmt.

Jesse Stone steht vor den Scherben seines Lebens. Seine Frau ist mit einem anderen durchgebrannt, er selbst ist dem Alkohol verfallen und hat dadurch seinen Job als Polizist bei der Mordkommission in Downtown L.A. verloren. Die einstige Heimat hält nichts mehr für ihn bereit, was bleibt ist die Flucht. Die Möglichkeit dazu bietet ein Job-Angebot von der anderen Seite des Kontinents. Als Polizeichef in der ruhigen neuenglischen Kleinstadt Paradise soll er für Recht und Ordnung sorgen. Stone, der dies als Chance sieht, seine Probleme in den Griff zu bekommen, nimmt an und macht sich im Auto auf den Weg quer durch die USA. Doch bereits kurz nach seiner Auskunft muss er erfahren, dass die beschauliche Idylle von Paradise vor allem eine gut gepflegte Fassade ist, unter der Korruption, Waffenhandel und politischer Extremismus hervorragend gedeihen.

Als wenig später ein Streifenwagen beschmiert und die Revier-Katze tot vor der Wache aufgefunden wird, regt sich in Stone erstes Misstrauen. Warum hat man gerade ihn eingestellt, wo sein Alkoholproblem doch bereits im Vorstellungsgespräch deutlich zutage getreten ist? Steckt der muskelbepackte Schläger Jo Jo Genest wirklich allein hinter der Tat oder handelt er im Auftrag eines anderen? Und wem kann er hier in Paradise eigentlich überhaupt noch trauen?

Völlig auf sich allein gestellt, beginnt Stone mit seinen Nachforschungen und sticht dabei in ein äußerst gefährliches Wespennest …

Zugegeben: Anhand des kurzen Inhaltsabrisses ragt Parkers „Das dunkle Paradies“ nicht wirklich aus der Masse der Kriminalliteratur heraus. Das Besondere offenbart sich auch erst im Detail, denn Parker präsentiert die allseits bekannte „Gebrochener-Cop-räumt-auf“-Story, die selbst „Rambo“-Darsteller Stallone zu höchsten schauspielerischen Leistungen beflügelte, in einem gänzlich anderen Gewand. Entgegen seiner Konkurrenz verzichtet der Autor auf die üblichen Rache-Effekte oder patronengeschwängerten Showdowns und überrascht stattdessen mit einem ruhigen, melancholischen Stil, der die stillen Momente weit mehr betont, als die durchaus auch vorhandenen Ausbrüche von Gewalt. Im Mittelpunkt des Ganzen steht dabei natürlich Jesse Stone, dessen wortkarge, introvertierte und vor allem undurchschaubare Art dem Leser sogleich ins Auge fällt und welche die Spannungsmomente des Romans mit seiner kühlen Gleichgültigkeit nochmals betont. Wo andere Cops mit großen Gesten, harten Sprüchen oder gar wohlgezielten Faustschlägen das kriminelle Gegenüber zu Fall bringen, genügt Jesse Stone meist ein langer, geduldiger Blick. Sein Verzicht auf viele Worte ist es, der seine Gegner zum Reden und damit letztlich auch zu Fall bringt. Ironischerweise ähnelt er dabei sehr einem weiteren Serienhelden, welcher sich jedoch auf der anderen Seite des Gesetzes aufhält: Richards Starks Parker. Gemein haben beide allerdings noch weit mehr.

Wie der Verbrecher, so weiht nämlich auch der Cop Stone niemanden in seine Pläne ein. Er ist ein Einzelgänger, trifft seine Entscheidungen allein und sieht auch keinerlei Notwendigkeit diese im Nachhinein anderen Personen zu erklären. Eine Eigenschaft, welche ihm neben Bewunderung auch später viel Kritik in Paradise einbringt, und schließlich dafür sorgt, dass der Leser gegen Ende um das Leben des pragmatischen Helden bangen muss. Bis dahin dreht Robert B. Parker die Schrauben am Plot immer enger, der sich, obwohl man in Perspektivwechseln stets über das Treiben der Gegenspieler informiert ist, in Sachen Spannung keinerlei Durchhänger erlaubt und vor allem „Noir“-Puristen aufs Beste unterhalten dürfte. Diesem Genre bleibt Parker in seiner altmodischen Erzählweise übrigens weitaus näher, als dem „Police Procedural“. Auch wenn sich ein Großteil des Romans in den vier Wänden des Polizeireviers abspielt, wird die eigentliche Arbeit der Gesetzeshüter nur wenig betont. Stone, abgehärtet durch seine Erfahrungen in Downtown L.A., agiert in erster Linie als Instinktermittler, der den Apparat lediglich zur Absicherung und möglichst wenig benutzt, da er bis zuletzt fürchten muss, den Feind in den eigenen Reihen zu haben.

Hierin unterscheidet sich der Roman auch von der (ebenfalls sehr empfehlenswerten) Verfilmung, in der Tom Selleck den gebrochenen Cop Jesse Stone mimt, und welcher Frank Göhre in der Pendragon-Ausgabe ein äußerst aufschlussreiches Nachwort gewidmet hat. Sellecks Stone ist zwar ebenso mundfaul, aber ein doch weit besserer Teamplayer als seine literarische Vorlage. Zudem gehen die Fernsehfilme in größerem Maße auf die Stellung der Polizei innerhalb der Kleinstadt ein. Diese Thematik reißt Robert B. Parker im Auftakt der Serie nur an, wobei es ihm mit wenigen Worten gelingt, die typische Szenerie der neuenglischen Provinz mit all ihren Facetten einzufangen bzw. den Kontrast zwischen West- und Ostküste zu unterstreichen. Überhaupt ist Stones Autofahrt von L.A. nach Paradise ganz zu Beginn eins der stilistischen Highlights des Romans, in dem Parker zwischen aktuellen Eindrücken und Rückblicken hin und her wechselt, und den Leser dabei gleichzeitig die verschiedenen Seiten der USA erleben lässt. Ob verschneite Berghänge, staubbedeckte Wüsten oder die kühle Gischt des tobenden Atlantiks – dank der bildreichen Sprache ist man stets mittendrin statt nur dabei.

Im Verbund mit dem temporeichen, geradlinigen Plot verzeiht man „Das dunkle Paradies“ dann sogar den ein oder anderen etwas zu tumben Bösewicht. Robert B. Parker ist mit Jesse Stone ein unheimlich interessanter Gegenpart zum lässigen Detektiv Spenser gelungen. (Auf den wird er in späteren Werken sogar persönlich treffen - Fans der Serie werden hier bereits Captain Healy wiedererkannt haben). Eine ganz dicke Empfehlung für alle Freunde des „Good-Old“-Noir und ein mehr als neugierig machender Auftakt einer Serie, bei deren Veröffentlichung der Pendragon Verlag hoffentlich langen Atem beweist. Mögen ihn möglichst viele Leser dabei unterstützen!

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