Rezension zu "Johnny Cash" von Robert Hilburn
Mit einer Karriere als Verkäufer würde es wohl nichts werden. Während er sich 1954 mit Marshall Grant und Luther Perkins, zwei Automechanikern, die in ihrer Freizeit Country- und Gospel-Songs spielten und sich "The Tennessee Two" nannten, mit ersten gemeinsame Proben versuchte, musste Johnny Cash seinen Lebensunterhalt irgendwie bestreiten.
Kurz vor seiner Militärzeit lerne er 1951 Vivian Liberto kennen, die er, nach Beendigung seiner Stationierung im deutschen Landsberg, 1954 heiratete. In einem winzigen Appartement ohne Küche wohnend, versuchte sich Cash bei der "Home Equipment Company", wo er von George Bates, den Cash in seiner Autobiografie als "Engel" bezeichnete, als Verkäufer und Vertreter für Elektrogeräte eingestellt wurde.
Der Erfolg des zwar freundlichen, aber "unaufdringlichen" Verkäufers blieb aus. Trotz gelegentlicher Verkäufe reichte das Geld nicht, doch George Bates unterstützte Cash weiterhin, auch als er eine stattliche Summe an Schulden angehäuft hatte. Der 22jährige versprach ihm, die angeschriebene Summe irgendwann auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen ...
Schließlich gelang es dem Trio, einen Vertrag bei Sun-Records zu ergattern, doch man tat sich zu Beginn schwer, da die Fähigkeiten der Musiker an Wünschen einiges offen ließen. Immerhin erhielten sie von Sam Phillips einen Einjahresvertrag, der pro verkaufter Schallplatte eine Beteiligung von einem Cent versprach ...
Zu Beginn war der Chef der Plattenfima kaum zu erreichen, da er permanent unterwegs war. Er unterstützte einen jungen Mann und hatte in der zweiten Hälfte des Jahres 1954 nur Zeit für zwei weitere, jedoch unbedeutende Veröffentlichungen. Seinen vollen Einsatz widmete er "Elvis" und dem Versuch, die Vertriebswege für seine Platten auszubauen und Sendeplätze im Radio zu finden. Nach dem Wechsel von Elvis zu einer anderen Plattenfirma konzentrierte Sam Phillips all seine Kraft auf Johnny Cash und ein sehr langsamer, aber steter Aufstieg begann ...
Es ist schon erstaunlich, wie steinig ein Weg sein kann, und wie schwierig es tatsächlich ist, aus einem völlig unbekannten Namen einen großen zu machen. Unendlich interessant und spannend zugleich, diese Schicksale und Karrieren im jeweiligen Zeitrahmen beobachten zu dürfen. Robert Hilburn schildert die Geschichte von Johnny Cash, dessen Lebensweg von zahlreichen anderen Künstlern begleitet wurde, die entweder schon große Stars oder erst auf dem Weg dahin waren.
Freuen dürfen sich Leserinnen und Leser u. a. auf die Begegnung mit "Nebendarstellern" wie Hank Williams, Jerry Lee Lewis oder Elvis. Cash lernte Elvis vor einem "Katz Drug Store" kennen, wo dieser im Rahmen eines Gratiskonzertes auf der Ladefläche eines Lastwagens spielte. Damals hatte dieser gerade mal eine Single veröffentlicht ...
Wen der vermeintlich trockene Stoff einer Biografie abschrecken mag, wird in diesem Buch eines Besseren belehrt. Die Biografie liest sich, trotz ihres gewaltigen Umfangs, wie ein spannender Roman. Doch der Autor hat wesentlich mehr zu bieten, denn was er an Details über Cashs jeweilige Lebensstationen zu berichten weiß, geht weit über das hinaus, was an Halbwahrheiten und Falschinformationen im Umlauf ist.
In diesem Zusammenhang klärt Robert Hilburn beispielsweise jene (auch den Rezensenten) auf, die den Titel "I Walk the Line" und dessen Bedeutung bisher in einem völlig falschen Kontext sahen. Der direkte Bezug zu seiner ersten Ehefrau Vivian Liberto, mit welcher er 13 (1954-1967) Jahre verheiratet war und welche die vier gemeinsamen Kinder Rosanne, Kathleen, Cindy und Tara auf die Welt brachte, ist nicht jedermann bekannt.
Die Biografie leistet in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag im Sinne des Bekanntheitsgrades von Vivian Liberto, die in der Öffentlichkeit nach Cashs Heirat mit June Carter 1968 nur noch eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt, spielte. Robert Hilburn schildert ausführlich, wie sich die Dinge aus ihrer Sicht entwickelten und was sie als nahezu Alleinerziehende, bis zum endgültigen Scheitern der Ehe, durchzustehen hatte.
Schade, dass den im Buch enthaltenen Fotos kein größeres Format zugedacht werden konnte, was vielleicht rechtliche Gründe haben mag. Auch eine Zeittafel mit wichtigen und datierten Lebensstationen, für den schnellen Überblick, wäre noch ein offener Wunsch für die nächste Ausgabe. Dafür ist das Buch mit einem umfangreichen Anhang ausgestattet, der, nach Epilog und "Dank" eine Diskografie (nicht chronologisch sortiert), eine Übersicht der DVDs, Quellen und Literaturverzeichnis, Nachweis über Songzitate und ein Register bietet.
Der Autor, der fünfunddreißig Jahre als Popmusikkritiker für die Los Angeles Times wirkte, hat ein ebenso beeindruckendes, wie mitunter erschreckendes Leben in Worte gefasst, und beschreibt einen Menschen, der im Alter von zehn Jahren mit dem Rauchen begann, den die Traurigkeit, laut den Worten seiner Tochter Rosanne, nie verlassen hat, dem es einst peinlich war, in der Öffentlichkeit zu singen, der sich 1950 für drei Jahre bei der Air Force verpflichtete und im deutschen Landsberg stationiert war, der für seine Hilfsbereitschaft bekannt war, der einen harten Kampf gegen Amphetamine führte, dem man einst, wegen seiner "farblosen Erscheinung", den Spitznamen "der Bestatter" gab und der sein Leben lang, mit unterschiedlichstem Erfolg, versuchte, seine musikalische Identität mit den Erwartungen der Produzenten und den profitorientierten Labels in Einklang zu bringen.
71 Jahre lang war Cashs Reise bis zu seinem letzten öffentlichen Auftritt am 5. Juli 2003 bei einem Konzert im Carter Family Fold in Virginia. Glanzvolle Straßen und steinige Wege dahin beschreibt die monumentale Biografie von Robert Hilburn. Ein Geschenk, das erleben zu dürfen. Mehr als eine Hommage an einen, den es nie wieder geben wird, und der kurz nach seinem Tod von Bob Dylan als "der Größte der Großen" bezeichnet wurde. Ein Meilenstein und würdiges Andenken an den "Man in Black". Geeignet aber nicht nur für Fans von Johnny Cash, sondern für alle, die an einem handfesten Kapitel Musikgeschichte interessiert sind.