Cover des Buches Der Schachautomat (ISBN: 9783492047968)
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Rezension zu Der Schachautomat von Robert Löhr

Rezension zu "Der Schachautomat" von Robert Löhr

von Windflug vor 12 Jahren

Rezension

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Windflugvor 12 Jahren
Im Jahr 1770 verblüfft Hofrat Wolfgang von Kempelen Maria Theresia, den Wiener Hof und bald das ganze Reich durch seinen scheinbar genialen, schachspielenden Automaten. Tatsächlich verbirgt sich darin ein Mensch - genauer gesagt: ein kleinwüchsiger, genialer Schachspieler. Sein Name ist Tibor Scardanelli, und Kempelen hat ihm durch seinen "getürkten" Schachtürken zunächst aus einem Schlamassel in seiner Heimat geholfen und zugleich eine Bühne gegeben für das, was er wirklich gut kann: Schach spielen. Und zwar ohne, dass er dabei wegen seiner Kleinwüchsigkeit verlacht oder verachtet wird. Kempelen dagegen erhält Ruhm und Ehre. Alles könnte also wunderbar sein - aber dann hält Kempelen zu lange an der Maschine fest, anstatt sie nur kurz vorzuführen und dann zu vernichten, und so geraten er, sein jüdischer Gehilfe Jakob und Tibor immer tiefer in einen Strudel aus Macht, Erfolgsstreben, Geheimnissen, Begierden und gegenseitigen Abhängigkeiten. Als dann ein Mord geschieht, gibt es endgültig kein Zurück mehr ... Robert Löhr war mir schon durch das "Erlkönig-Manöver" und die "Hamlet-Verschwörung" bekannt, also habe ich mir gedacht: Auch mit seinem ersten Buch kannst du so viel wohl nicht falsch machen. Zumal das Thema nun wirklich ungewöhnlich und interessant ist. Und es war genau das: ungewöhnlich und interessant. Die Charaktere haben mir gut gefallen. Tibor, die Hauptfigur, ein tiefgläubiger Katholik, der immer wieder selbst entsetzt ist über seine wollüstigen Gedanken (und Taten), bleibt bei aller Sympathie für ihn allerdings abgesehen von dieser Eigenschaft ein wenig blass. Jakob ist ein fröhlicher, respektloser, feierfreudiger und manchmal etwas naiver junger Mann, und Kempelen - ja, Kempelen ist zu Anfang eigentlich ein netter Kerl, ehrgeizig, aber trotz seiner Betrügereien und Tricks durchaus liebenswert. Die Geschehnisse bringen aber immer mehr seine dunklen Seiten zum Vorschein, und ich wusste am Ende wirklich nicht, ob ich ihn hassen wollte oder nicht. Das hat mir wirklich gut gefallen. Ansonsten war der Roman spannend geschrieben, ich mochte auch die Einschübe aus einem späteren Jahr sehr gerne, deren Sinn sich erst beim weiteren Lesen immer mehr erschloss. Was mich ein bisschen gestört hat, waren die zweiten Einschübe, die im Lexikonstil im Präsens das Vorleben einiger Charaktere berichtete, das fand ich seltsam und deplaziert, wenn auch an sich durchaus interessant - nur, dass sich dabei dann natürlich Realität und Fiktion miteinander vermischten, so dass der Informationswert eher gering war. Lieber hätte ich solche Informationen entweder im Text erzählt bekommen oder dann tatsächlich als richtige historische Notiz am Ende angefügt. So störte es für mich eher den Lesefluss etwas. Nicht sehr, aber ein bisschen. Im Großen und Ganzen aber in jedem Fall ein lohnendes Buch, finde ich. Spannend bis zur letzten Seite, aufregende Handlungswendungen, sogar Verfolgungsjagden über die Dächer und durch die Gassen Preßburgs/Bratislavas. Ein ganz kleines Bisschen Liebe ist sogar auch drin, gerade der richtige Spritzer, um die richtige Würze zu geben, aber nicht die große, alles plattbügelnde Liebesgeschichte. Statt dessen geht es eben mehr um Freundschaft, Toleranz, Freiheit vs Sicherheit und das Streben nach Erfolg und Anerkennung. Lesenswert. Mein Vater kriegt es zum Geburtstag, ich hoffe, dass es ihm genauso gut gefällt wie mir. :-)
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