Cover des Buches Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (ISBN: 9783644439016)
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Rezension zu Die Verwirrungen des Zöglings Törleß von Robert Musil

verwirrend, beklemmend, verstörend

von SandraWer vor 9 Jahren

Kurzmeinung: verwirrend, verstörend, brilliant

Rezension

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SandraWervor 9 Jahren

Der junge Törleß, der aus einer gut gestellten Familie kommt, wird nach seinem eigenen Wunsch in ein Militärinternat geschickt. Dort, zum ersten Mal für längere Zeit weg aus seinem Elternhaus, muss er mit starkem Heimweh und Depressionen kämpfen.

Törleß schließt nach und nach Freundschaft mit zwei seiner Mitschüler, Reiting und Beineberg. Diese entdecken, dass ein anderer Mitschüler, Basini, einen Mitschüler bestohlen hat. Sie entscheiden sich, dies nicht der Schulleitung zu melden und dafür mittels Selbstjustiz ihren Mitschüler zu quälen. Basini selbst schwört allen Anweisungen Folge zu leisten, wenn er nicht an den Direktor verraten werde.

Jeder nutzt nun Basini für seine Interessen. Reiting und Beineberg scheinen Spaß daran zu haben ihren Mitschüler zu quälen. Sie befriedigen ihre Gelüste nach Macht, aber auch sexueller Natur. Törless hingegen wird nicht gewalttätig gegenüber Basini, allerdings immer nachdenklicher. Er verspürt anfangs ein gewisses Interesse an der Situation selbst, die bestimmte Fragen in ihm aufwirft und als Teil einer Selbstfindung gesehen werden kann.

Eines Tages, als viele der Mitschüler übers Wochenende verreist sind, ist Törless mit Basini alleine und verspürt eine große Sinnlichkeit. Die beiden nähern sich einander auf sexuelle Weise. Törleß ist vorerst begeistert von dieser Sinnlichkeit, die er selbst verspürt, aber es handelt sich nicht um Liebe, sondern vielmehr um sexuelles experimentieren. Zum Ende hin ist für Törleß dieses Verhältnis beendet. Er sieht in seiner eigenen Erinnerung nicht sich selbst, der diesen Begegnungen beigewohnt hat und zieht sich somit aus der Affäre.

Da Reiting und Beineberg zunehmend brutaler werden, verliert Törleß das Interesse und sieht Basini als feige an, da dieser alles mit sich geschehen lässt. Er verachtet Basini. Basinis Diebstahl wird zum Ende hin doch gemeldet und er sowie auch Törleß müssen die Schule verlassen.

Der „Törleß“ ist Musils Erstlingswerk das 1906 veröffentlicht wurde und neben dem Mann ohne Eigenschaften auch sein Bekanntestes Werk blieb. Viele Autoren dieser Zeit haben das Thema Schule und die Beziehung Lehrer – Schüler – Eltern und Mitschüler untereinander behandelt. Aber der Törleß war auf eine gewisse Weise neu, wegen der expressionistischen Züge im Werk.

Die Hauptfigur des Törleß ist nicht Hauptakteur, sondern vielmehr zurückhaltender Beobachter. Bei der Misshandlung des Schülers Basini, die auch sexuell ist, wird das Tabuthema Homosexualität angesprochen, ohne dieses zu verurteilen. Das ist ein Grund für das Verbot des Buches während der NS-Zeit.

Törless befindet sich während der Zeit der Misshandlungen in einem inneren Konflikt. Bei diesem Konflikt geht es Törleß darum, welches Gefühl bei ihm im Zuge dieser Misshandlung entsteht. Allerdings interessiert ihn hier mehr, was in ihm selbst vorgeht, als im misshandelten Basini. Mitgefühl mit dem Misshandelten hat er keines. Lediglich ein einziges Mal fragt er diesen, wie er sich fühle. Es spielen unter anderem auch Verwirrungen eines Pubertierenden, eines Jungen Menschen im allgemeinen mit.

Es gibt hier durchaus Paralellen zu Musils Leben, die aber nicht vollständig geklärt sind. Er selbst war in einer vergleichbaren Schule.

Es stellt sich auch die Frage ob die Handlung der Jugendlichen im Buch eine Vorwegnahme faschistischer Strukturen der späteren NS-Zeit ist.


Zitate

Heimweh und Depressionen im Internat:
„Vielleicht war daran die Abreise seiner Eltern schuld, vielleicht war es jedoch nur die abweisende, stumpfe Melancholie, die jetzt auf der ganzen Natur ringsumher lastetete und schon auf wenige Schritte die Formen der Gegenstände mit schweren glanzlosen Farben verwischte.“

Ein früherer Freund des Törleß, von dem er etwas über Menschenkenntnis lernte:
„ Der Umgang mit dem Prinzen wurde so zur Quelle eines feinen psychologischen Genusses für Törleß. Er bahnte in ihm eine Art Menschenkenntnis an, die es lehrt, einen anderen nach dem Falle der Stimme, nach der Art, wie er etwas in die Hand nimmt, ja selbst nach dem timbre seines Schweigens und dem Ausdruck der körperlichen Haltung, mit der er sich in einen Raum fügt, kurz nach dieser beweglichen, kaum greifbaren und doch erst eigentlichen vollen Art, etwas Seelisch-Menschliches zu sein, die um den Kern, das Greif- und Besprechbare, wie um ein bloßes Skelett herumgelagert ist, so zu erkennen und zu genießen, daß man die geistige Persönlichkeit dabei vorwegnimmt.“

Hier spricht Reiting, einer der Peiniger:
[Zuvor: Erklärung, wie die Härte eines Steins entsteht, dann..]
„Bei einem Menschen legt sie [die Weltseele] diese Härte in seinen Charakter, in sein Bewusstsein als Mensch, in sein Verantwortlichkeitsgefühl, ein Teil der Weltseele zu sein. Verliert nun ein Mensch dieses Bewusstsein, so verliert er sich selbst. Hat aber ein Mensch sich selbst verloren und sich aufgegeben, so hat er das Besondere, das Eigentliche verloren, weswegen die Natur ihn als Mensch geschaffen hat.“

Törleß in seinen Überlegungen über die Misshandlungen:
„Und was groß und menschenfremd aussieht, solange unsere Worte von ferne danach langen, wird einfach und verliert das Beunruhigende, sobald es in den Tatkreis unseres Lebens eintritt.“
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