Cover des Buches Tod in Lissabon (ISBN: 9783442452187)
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Rezension zu Tod in Lissabon von Robert Wilson

Die Spur des Nazi-Golds

von Stefan83 vor 12 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 12 Jahren
Robert Wilson tritt mit seinem Buch "Tod in Lissabon" den Beweis an, dass sich die Begriffe "literarisch" und "Krimi" nicht unbedingt beißen müssen, in der richtigen Mischung sogar ein formvollendetes Lesevergnügen ergeben können. Das dennoch wohl nicht jeder Krimi-Leser hieran Gefallen finden wird, ist nahe liegend, denn Wilson hat nicht nur ein heikles Thema ausgewählt, sondern dies auch sehr episch aufgebaut auf Papier gebracht. In zwei Handlungssträngen, die sowohl zeitlich als auch situativ weit auseinander liegen und über viele Seiten keine Verbindung miteinander aufweisen, entwickelt er zunächst etwas behäbig, dann sich mit jeder Seite zuspitzend eine Geschichte, die Wilsons Können mehr als andeutet und in seinem Ausmaß durchaus mit Allendes "Geisterhaus" verglichen werden kann. Ihren Anfang nimmt sie im Berlin der frühen 40er Jahre. Das "Dritte Reich" befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Hitler hat mit der Sowjetunion bereits das nächste Ziel vor Augen. Dringend dafür benötigt wird das in der Panzerkonstruktion eingesetzte Schwermetall Wolfram, welches an der Front die Überlegenheit der deutschen Infanterie weiterhin gewährleisten soll. Klaus Felsen, Fabrikant bei den Kupplungswerken, wird von der SS "überzeugt" dieses aus dem neutralen Portugal zu besorgen. Gemeinsam mit dem SS-Mann Lehrer und einem skrupellosen portugiesischen Komplizen organisiert er den Schmuggel des Metalls nach Deutschland und gründet gleichzeitig eine Bank in Lissabon, über welche das Nazi-Gold ins Land gebracht wird. Ihre Partnerschaft übersteht die Wirren des Krieges. Die schwere Schuld, die sie auf sich geladen haben, droht sie jedoch bald einzuholen... Gut ein halbes Jahrhundert später findet sich der Leser gemeinsam mit dem Kriminalbeamten Zé Coelho am Strand von Lissabon wieder. Vor uns die Leiche eines 15-jährigen Mädchens. Sie scheint der High-Society der Stadt zu entstammen und für ihr Alter erstaunlich viele Erfahrungen im Bereich Sex gesammelt zu haben. Coelho, der Typ einsame und unbeirrte Ermittler, stürzt sich in den Nobelhintergrund des Opfers und lässt sich dabei auch durch die politisch motivierten Interventionen seiner Vorgesetzten nicht von der Suche nach der Wahrheit ablenken. Und schon bald stößt er in ein Wespennest, das komplexer ist, als anfangs angenommen... Robert Wilson verschafft dem Leser hier einen mehrfachen Genuss. Kunstvoll lange lässt er uns darüber im Unklaren, wie die Geschichte Felsens mit dem Mord in der portugiesischen Gegenwart zusammenhängt. Beide Handlungsstränge fußen auf den Elementen urtypischster Ausprägung, welche nicht selten die Pfeiler der Geschichte gebildet haben: Es geht um Macht und Gier, Käuflichkeit und Erpressung, Ideale und Opportunität, Folter und Mord. Und nicht zuletzt um Sex, dass in der ohnehin schon umfangreichen Erzählung einen mitunter etwas zu großen Raum einnimmt. Dabei wird der Leser durch die Epochen von Portugals Vergangenheit gezogen, erlebt er die Ereignisse um Salazars Diktatur, dem Fall der Kolonien und der Nelkenrevolution mit, ohne dass man dabei den Kriminalplot aus den Augen verliert. Die überragende Kunst liegt da vor allem in der Figurenzeichnung, denn Wilson tappt in kein Klischee, das bei diesem Wälzer nur allzu nahe gelegen hätte. Kühl wie Eric Ambler hält er seinen Protagonisten jede Entscheidung offen: Sie machen ihre Geschichte selbst und tragen dafür die Verantwortung. Sehr beeindruckend, wie ein englischer Autor sich da u.a. in die Seele eines deutschen SS-Manns versetzt hat. Dass es letztendlich natürlich um mehr geht, als nur einen Täter zu überführen, deutet sich schon früh an. Das fulminante Finale, in der beide Handlungsstränge in glaubhafter Weise und mit überraschender Leichtigkeit zusammengeführt werden, lässt jedoch kaum Raum für Kritik. Wenngleich uns Wilson mitunter vielleicht etwas zu ausschweifend auf die Folter gespannt hat. Insgesamt ist "Tod in Lissabon" zwar kein Meisterwerk (dafür ist die Story doch oft zu langatmig geraten), doch ein literarisch geschliffener Roman, der unheimlich fesselnde Spannungsmomente enthält und gerade wegen seiner Komplexität sich erfrischend von der Konkurrenz abhebt. Ein Typ für geduldige Freunde von Spannungsliteratur, die nebenbei auch mehr über Portugals Historie in Erfahrung bringen möchten.
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