Cover des Buches 2666 (ISBN: 9783446233966)
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Rezension zu 2666 von Roberto Bolaño

Rezension zu "2666" von Roberto Bolano

von Babscha vor 14 Jahren

Rezension

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Babschavor 14 Jahren
Der leider vor einigen Jahren bereits verstorbene chilenische Autor hat sein zuletzt nicht ganz vollendetes Mammut- u. Hauptwerk von knapp 1.100 Seiten inhaltlich aufgeteilt in fünf Einzelgeschichten, die thematisch lose miteinander verknüpft sind. Letztlich besteht es aus zwei Haupthandlungssträngen. Zum einen ist dies die seit Anfang der 90er-Jahre ununterbrochene und bis heute unaufgeklärte Mordserie an Frauen in der fiktiven nordmexikanischen Grenzstadt Santa Teresa, diese ein Abbild der real existierenden Stadt Ciudad Juarez in Mexiko und der dort identisch ablaufenden Geschehnisse, alles eingebettet in eine lose Rahmenhandlung im Polizeimilieu. Herzstück des Romans ist daneben jedoch die generationstypische Lebensgeschichte des 1920 in Preußen geborenen Hans Reiter, seine Erlebnisse während des 2. Weltkriegs und danach bis Anfang 2000 mit seiner späten Metamorphose zu einem erst im hohen Alter anerkannten und gefeierten Schriftsteller unter dem Pseudonym Benno von Archimboldi, der sich allerdings –vom Leben gezeichnet und innerlich erstarrt- der Öffentlichkeit bewusst und dauerhaft zu entziehen vermag. Die weiteren und vom Umfang deutlich kürzeren Geschichten erzählen von einem Quartett europäischer Literaturkritiker Ende der 90er auf ihrer verzweifelten und erfolglosen Suche nach Archimboldi, von einem Schlaglicht aus dem Leben eines in Santa Teresa wohnhaften Literaturprofessors sowie von einem schwarzen Redakteur aus Harlem in N.Y., der ebenfalls schicksalhaft mit den Mordserien in Santa Teresa in Verbindung kommt. Diese Geschichten sind aus meiner Sicht lediglich als Beiwerk zu den eigentlichen Hauptthemen zu betrachten, durch eine vom Autor offensichtlich bewusst gesetzte Konzentration bzw. Reduktion der hier involvierten Charaktere auf Gewalt, Machtausübung und Ausleben ihres Sexualtriebs als Zerrspiegel gesellschaftlicher Realitäten in Mittelamerika allerdings recht wirkungsvoll. Etwas weniger wäre an dieser Stelle jedoch vielleicht etwas mehr gewesen. Dies gilt leider auch für die akribische, teils abstoßende und auf die Dauer ermüdende Beschreibung der einzelnen Frauenmorde im Sinne einer endlosen Aneinanderreihung von Autopsieberichten über hunderte von Seiten hinweg. Auch hier hat sich mir die damit verbundene Intention des Autors in diesem Umfang nicht vollständig erschlossen. Ein Glanzstück ist allerdings die im letzten Teil erzählte Lebensgeschichte der Person von Hans Reiter und seiner Familie über Jahrzehnte hinweg, glaubhaft und dem Leser mit einer Anbindung an die realen damaligen Geschehnisse im Kriegs- und Nachkriegs-Deutschland interessant bis zum überraschenden Abschluss ausgebreitet. Dieser Buchabschnitt geht tatsächlich unter die Haut und zeugt von großem schriftstellerischem Können. Insgesamt ein aus meiner Sicht zu umfangreich geratenes Werk mit Höhen und Tiefen in einer pessimistischen Grundstimmung im Sinne eines Abgesangs auf gesellschaftliche Normen und Menschlichkeit im allgemeinen, das man, wie vom Autor vor seinem Tod selbst angedacht (jedoch später so nicht umgesetzt), durchaus auch in Einzeletappen lesen kann (ansonsten ist eiserner Durchhaltewille gefragt). Ein Jahrhundertwerk? Aus meiner Sicht nicht ganz. Lesenswert? Unbedingt!
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