Cover des Buches Frühlingsregen (ISBN: 9783458193845)
Rezension zu Frühlingsregen von Roberto Yáñez

Perlen aus dem Untergrund I: Surrealismus aus Chile und der DDR

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Eine psychedelische Reise in die Welt des Magischen. Aufgefangen durch die surreale Tradition.

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 7 Jahren
Der Autor: Yañez wurde 1974 in Ostberlin als Teil der Familie Yañez de Betancourt-Honecker geboren. Er ist Sohn eines chilenischen Dissidenten und Enkel von Margot und Erich Honecker. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfallen der DDR beginnt die Flucht der Familie. Anfang 1990 kommt Roberto nach Chile. Einzig sein Großvater bleibt zunächst zurück, da ihm in der BRD der Prozess gemacht wird. Mit seinem 17. Lebensjahr beginnt er, in einer Hippie-Kommune in der Atacama-Wüste zu leben, er experimentiert mit Meskalin und anderen Drogen. Sein künstlerisches Schaffen in Dichtung und Malkunst beginnt. Gleichzeitig verschlechtert sich sein psychischer Zustand, medikamentöse Therapien und Besuche bei Psychiatern setzen ein, die sein fortschreitendes Leben begleiten werden. 1999 erscheint sein erster Gedichtband: Poemas encontrados en San Pedro de Atacama (Gefundene Gedichte aus San Pedro de Atacama). Zwischen 2000 und 2002 lebte er auf Kuba, nicht zuletzt um psychisch stabiler zu werden. Heute lebt er wieder in Chile und ist weiterhin als surrealistischer Dichter, Maler und Songwriter aktiv.

Der Inhalt: „,Frühlingsregen' beschreibt das Erwachen. Diese Gedichte wurden in den Jahren verfasst, in denen ich wieder an die Oberfläche kam. Denjenigen, die auch erwachen, könnten sie vielleicht nützlich sein. In Chile, in der Zeit, in der wir das surrealistische Erbe zurückzugewinnen versuchten, gab es immer wieder solche, die sagten, dass der Surrealismus der Vergangenheit angehört. Doch wir sind einige Schritte weiter gegangen. Das heißt, dass wir denken, dass manchmal die Ursache nach der Wirkung kommt. Wir gehen davon aus, dass neben den Gesetzen der Geschichte auch Gesetze des Traums unser Bewusstsein bestimmen. Dieses Buch räumt den Gespenstern eine gewisse Rolle ein, denn sie sind es, die uns das Leben schwermachen können.“ (Vorwort zu: „Frühlingsregen“)
Dieses Erbe ist nicht etwa, wie häufig angenommen als anti-realistisch oder der Realität konträr zu verstehen. Man denkt dabei etwa an Dalìs „Uhren“, die nicht etwa die Absurdität des Realitätsbegriffes darstellen, sondern, wie es der Begriff des Surrealen alleine schon nahelegt, dasjenige, was „über den Realismus“ hinausgeht. Begriffe wie Traum und Rausch werden dabei als Ausgangspunkt für das eigentlich „reale in der Welt zu festen Größen innerhalb des Kunstbegriffes. Zugleich ist damit auch eine politisch-anarchistische Haltung gegenüber konventionellen, autoritären und klassischen Kunstrichtungen gemeint. Einer der theoretischen Wegbereiter und gleichzeitig Durchführer dieser Ideale, André Breton (1896 -1966) bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Die Schönheit wird konvulsiv sein oder sie wird nicht sein.“ (aus: „Nadja“, S.139)
Im Buch „Frühlingsregen“ von Roberto Yañez wird dieses Erbe nicht nur fortgesetzt, in zweifacher Form (durch Text und Bild), sondern durch die Formel des Erwachens in einer Welt, die sich dem Schein nach wenig verändert, aber der Bedeutung, Interpretation und Impression nach unter der surrealistischen „Schönheit“ als eine solche Erfahrung dargestellt. „Das Erwachen wurde vorsichtig vorbereitet. Alle hundert Jahre gibt es jemanden der erwachen muss. Seine Umwelt hat sich wenig verändert. Er denkt eher an die Schönheit als an die Wissenschaft.“ (Yañez: „Frühlingsregen“, S. 7)

Die Gedichte und die Bilder: So gesehen ist dieses Büchlein mit seinen 54 Seiten nicht bloß Ausdruck von Kunst, sondern gleichzeitig im Auftrag der „surrealistischen Mission“ zu sehen. Die 28 Gedichte plus Einleitung behandeln das eben schon besprochene Erwachen, das durch den Frühlingsregen wieder in die Welt kommt. Sie zeichnen sich durch eine bildgewaltige Sprache aus, die Assoziationen mit Eindrücken und Erlebnissen verknüpft und nicht selten Verwunderung über die Symbolkraft und das Spiel mit Bedeutungen der einzelnen Strophen, Verse, ja sogar Worte übriglässt. Das alles wird getragen durch die schier unglaubliche Zuversicht des Autors, der, den Geistern und Teufeln, die sein Dasein plagen zum Trotz, dennoch bemüht ist, den losen, fragmentarischen Einheiten aus Wahrnehmung und Gedanke einen tieferliegenden Sinn abzuringen. Dieser ist natürlich im surrealistischen Motto, dem real Realem, zu finden. Yañez gelingt es dabei, diese beiden scheinbar diametral entgegengesetzten Komponenten zusammenzubringen. Betrachtet man seine Gemälde, so zeichnet sich dort ein ähnliches Zusammenfließen, das nicht nur Strukturen auflöst, sondern zugleich Landschaften und Motive der chilenischen Heimat mitbringt, ab.

Fazit: Eine psychedelische Reise in die Welt des Magischen. Aufgefangen durch die surreale Tradition. Die Klarheit eines Èluard vermisst man. Ebenso die Reife und Abgeklärtheit von Buñuel. Aber dadurch überzeugt die Vehemenz der Suche nach Bedeutung!

Der Tag beginnt
Die Wege sind noch leer
Ich sehe die Abwesenheit
Ich laufe mit süßen Gedanken
Unter den Seelen der Bäume umher
Unter dem Geheimnis des Lichts
Ich bin zurückgekehrt von einem Ort
Von dem wenige zurückkommen
Ich atme und verdaue
Das Leben kommt nie über den Kreis hinaus
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