Cover des Buches Der falsche Prophet (ISBN: 9783499270864)
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Rezension zu Der falsche Prophet von Roman Rausch

Heiliger oder Scharlatan

von kubine vor 8 Jahren

Rezension

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kubinevor 8 Jahren
Taubertal 1476: Der junge Hans Behem, ein Musikant und Schafhirte, genießt sein sorgenfreies Leben. Während die Bauern durch einen kalten Winter, eine schlechte Ernte und den Abgaben an die Lehnsherren und die Kirche, hungern und verzweifeln, sind seine Gedanken nur bei seiner schwangeren Liebschaft Elsbeth. Als sie stirbt, ist Hans außer sich. Er will es den Mächtigen heimzahlen. Und so behauptet er, Maria, die Mutter Gottes wäre ihm erschienen und er soll gegen die Ungerechtigkeit predigen. Die Menschen glauben ihm, kommen von weit her, um den fränkischen Messias zu hören. Bald glaubt Hans selbst, wirklich der Auserwählte der Gottesmutter zu sein und seine Predigten werden immer radikaler. „Schlagt die Pfaffen tot“ wird zum Schlachtruf, den die Bischöfe aus Mainz und Würzburg nicht länger ignorieren können...

Die Person Hans Behem hat es wirklich gegeben, doch heute ist sie an der ehemaligen Wirkungsstätte fast vergessen. Roman Rausch setzt dem „Pfeiffenhans“ mit seinem neuen Roman ein Denkmal und holt ihn aus dem Dunkel der Geschichte wieder an Licht.

Hans, jung, naiv und gutgläubig gerät durch Zufall in die Mühlen der Politik der damaligen Zeit. Eigentlich ist er nur eine Schachfigur in einem Spiel, bei dem es um Macht und Einfluss geht. Die Folgen sind dramatisch. Aus Rache, vor allem an der Kirche, denkt er sich mit ein paar Helfern eine Scharade aus, die bald schon eine Eigendynamik entwickelt. Er spricht das aus, was viele Leute denken. Die Leute hören ihm, dem Taugenichts, zu, kommen um ihn zu sehen, sich von ihm segnen und heilen zu lassen. Er wird gefeiert wie ein Popstar. Was als gut durchdachtes Schauspiel angefangen hat, nimmt immer mehr Konturen an, die Reden wider der Obrigkeit werden immer radikaler – und Hans immer größenwahnsinniger. Er verprellt seine Mitstreiter, fühlt sich unantastbar.

Mit der Person des Hans Behem bin ich nicht richtig warm geworden. Er macht eine große Wandlung durch – in kürzester Zeit. Das beruht auf realen Gegebenheiten, entspringt nicht der Fantasie des Autors, aber ich kann seine Handlungen, seine Obsessionen, nicht immer nachvollziehen.Auch unter Beachtung der auslösenden Faktoren – wahrscheinlich bin ich dazu in der falschen Zeit geboren.

Die Nebenfiguren sind da schon interessanter. Der Dorfpfarrer, ein Begarde, der Hans' Mentor war und eine Magd unterstützen Hans. Jeder verfolgt dabei auch seine eigenen Ziele. Darüber zerbricht das Quartett, was letztendlich mit zum Untergang von Hans führt. Allerdings kommt mir ihr Schicksal, mit Ausnahme der fiktiven Magd Magdalena, etwas zu kurz. Auch über die Gefühlswelt des Pfarrers und des Begarden erfährt man relativ wenig. Das mag an den historischen Überlieferungen liegen und dem Spagat, den ein Autor vollziehen muss, ohne die realen Geschehnisse zu verwässern. Man erfährt zwar zum Schluss noch ein wenig darüber, trotzdem bleiben Fragen offen.

Höchst interessant fand ich dagegen die damaligen Lebensumstände, die der Autor gekonnt vermittelt. Nicht nur die, der armen Bevölkerung, auch des Adels und des Klerus. Badehäuser und Badeorgien scheinen damals in Mode gewesen zu sein – etwas, was ich in dem Ausmaß in Deutschland so nicht vermutet hätte. So etwas brachte ich bisher nur mit dem alten Rom in Verbindung, nicht wirklich mit dem Leben in Deutschland im 15. Jahrhundert. Auch die sehr komplexe politische Situation wird verständlich geschildert. Gerangel um Zuständigkeiten und Kompetenzen, die Angst der Obrigkeit vor einem Flächenbrand (der ein paar Jahre später trotzdem ausbrach) und der Ruf nach Gerechtigkeit - Themen, die auch heute aktueller denn je sind.

Roman Rausch hat daraus eine faszinierende und auch spannende Geschichte gemacht. Zwar sind einige Szenen, die durchaus Parallelen zum echten Messias aufweisen, für meinen Geschmack etwas zu übertrieben, und weitere kleinere Kritikpunkte (siehe oben) vorhanden, aber das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Wer ein Stück vergessener deutscher Geschichte erleben möchte, ist hier genau richtig und wird sicher Freude am Lesen haben.
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