Elfi ist ein wenig entzückendes junges Mädchen, dass bei ihrer Mutter in Stuttgart aufwächst. Nach einem Prozess gegen ihre Eltern lässt die Großmutter ihre Enkel von einem kettenrauchender Taxifahrer zu sich nach Liebstatt, in die österreichische Provinz, bringen.
.. es kursierten nichts als engleiste Mutmaßungen über meine bisherigen Lebensumstände zu dieser Zeit in Liebstatt, den Stadtbewohnern fehlte es an Fantasie gleichermaßen wie an Feingefühl.
Schnell wird klar, das Zusammenleben der beiden birgt Tücken. Elfi entwickelt ihre Neurosen ungestört bis in die Perfektion und eine Hassliebe zu Liebstatt entsteht, die wortwörtlich in einem Inferno endet.
… Liebstatt war ein Traum von süßer Klebrigkeit, dabei sauber bis in alle Ritzen, sogar die Brunnenfigur auf dem Stadtplatz wurde regelmäßig mit einem Hochdruckreiniger zum Glänzen gebracht, alle Stadtbewohner grüßten sich freundlich auf der Straße, zumindest alle anderen, wenn auch nur selten jemand die Großmutter und mich.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Auch dieser Roman darf neben „Verschwinden in Lawinen“ als Finalist des XV. Internationalen Literaturpreises Merano-Europa von mir als Jurorin am 06. Juni 2024 bewertet werden. Gewonnen hat auch „Offene Gewässer“ nicht, aber lesenswert ist der Roman allemal. Es ist nur ein dünnes Büchlein, aber so prall gefüllt mit beißendem Hohn, dass ich lesetechnisch nur schleppend vorankomme. Leider ermüdet so etwas meinen Lesefluss ungemein, aber ich will durchhalten und entscheide mich, den Roman in Abschnitten zu lesen und Lesepausen einzulegen. Richtiger Entschluss!
„Offene Gewässer“ ist eine scharfzüngige Tragikkomödie, in der Elfi, die Hauptromanfigur und Ich-Erzählerin, bereits im Kindesalter ihr Dasein analysieren darf, dabei jedoch wenig über ihr eigene Umstände nachgrübelt und erst im Erwachsenenalter, als ihre Ehe scheitert und sie im Wohlstand ihr Leben in Liebstatt am See bestreitet, sich ihrer Existenz bewusst wird. Doch Rettung kommt zu spät und die psychologischen Schäden ihrer Seele sind schon nicht mehr kurierbar.
Stillschweigende Duldung, eine emotionale Überforderung sondergleichen, ich war sensibel genug zu bemerken, dass man mich für seltsam hielt, und zwar genau in dem Ausmaß, dass es mir immer wieder schmerzhaft bewusst wurde.
Diesen Werdegang, vom Kind zur Geschiedenen, jederzeit vollkommen schutzlos und ohne Hilfe dem Leben ausgesetzt, beschreibt Romina Pleschko mit frechem, frischem aber auch anstrengendem Ton. Dabei knöpft sie sich die Provinzgesellschaft mit all ihren Scheinheiligkeit vor und stellt ihr eine Heldin entgegen, die leider schlussendlich scheitert.
So ein bisschen erinnert mich der Roman an „Der tanzende Berg“ von Elisabeth R. Hager. Ihre Romanfiguren stehen stellvertretend für gesellschaftliche Außenseiter und nichts ist schwerer, als gewollt oder ungewollt allein gegen den Strom schwimmen zu müssen. Man muss es nur einmal versucht haben, um zu wissen, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein, und ohnmächtig einer scheinheiligen, allgegenwärtig mitmenschlichen Freundlichkeit ausgesetzt zu sein!
Fazit
Offene Gewässer von Romina Pleschko thematisiert das Anderssein in der österreichischen Provinz, in der das Zusammenleben eine oberflächliche Einheit verlangt und jeder, der dazu nicht passt, mit aller notwendigen Freundlichkeit als Störfaktor behandelt wird. Am Ende haben beide Seiten nichts von ihrem sturen Verhalten.