Cover des Buches Die Welt war so groß (ISBN: 9783548290256)
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Rezension zu Die Welt war so groß von Rona Jaffe

Klassentreffen - Weltentreffen

von rumble-bee vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Toll! Fast noch besser als "Das Beste von allem". Vier Mädchen werden über 20 Jahre hinweg begleitet. Sehr berührend!

Rezension

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rumble-beevor 6 Jahren


Dieses Buch ähnelt ein wenig den bekannten russischen Puppen, den „Matrioschkas“. Denn es ist gleich auf mehrere Arten und Weisen eine Neuauflage.Es wurde geschrieben von einer amerikanischen Autorin, Rona Jaffe, die lange Zeit vergessen war. Begonnen zu schreiben hat sie in den 50er Jahren, und war in ihrer Heimat wohl auch sehr erfolgreich. Eine Stiftung zur Förderung von Autoren wurde nach ihr benannt. Ihr Metier sind typische „Coming-of-age“-Geschichten von Frauen der 50er Jahre, Mädchen in Internaten, Mädchen auf der Suche nach ihrer Identität. Diese Geschichten sind in einem ganz bestimmten Ton mit „Wiedererkennungswert“ verfasst; sie verströmen einen gewissen Retro-Charme, der aber ausgesprochen lesbar ist.

1979 hat sie nun in Amerika genau diese Geschichte verfasst, die ihren Ausgangspunkt wieder einmal in den 50er Jahren nimmt. Im Original hieß das Buch „Class Reunion“, was den Inhalt auch recht genau trifft. In Deutschland wurde es 1981 schon einmal herausgegeben, unter dem ebenfalls nüchternen Titel „Die Schulfreundinnen“. Aber es war wohl nicht die rechte Zeit für diese Geschichte. Erst vor ein paar Jahren begann man, Rona Jaffe wiederzuentdecken; zuerst publizierte man in Deutschland erneut ihren Klassiker „Das Beste von allem“ (zuerst erschienen 1958). Erst auf dessen Erfolg hin entschloss man sich nun wohl, auch die „Class Reunion“ wieder aufzulegen. Um den Erfolg ein wenig zu unterstützen, änderte man den Titel, machte ihn scheinbar literarisch bedeutender - „Die Welt war so groß“. Das hätte es meiner Meinung nach aber nicht gebraucht!

Warum gestalte ich diese Einleitung so ausführlich…? Nicht etwa, weil ich mit diesem Buch nichts anzufangen wüsste. Nein, ich bin wieder einmal schlichtweg begeistert! Sehr gerührt, sehr angetan. Schon „Das Beste von allem“ hatte ich sehr gemocht; daher wollte ich diesen Band auch unbedingt lesen. Wie schon angedeutet, ist der typische Ton von Rona Jaffe unverkennbar. Aber ihr Panorama ist breiter geworden.

Wieder einmal geht es um eine Gruppe von Freundinnen: Emily, Chris, Annabel und Daphne. Alle vier beginnen im Jahr 1957 ihr Studium in Radcliffe College, Boston. Das Buch spannt sich dabei über zwei Jahrzehnte. Im Jahr 1977 findet das 20jährige Klassentreffen statt; dies bildet auch den Rahmen, den Prolog und den Epilog. Der Hauptteil des Buches besteht aus drei Abschnitten: die 50er, die 60er, die 70er. Und in jedem Abschnitt verfolgen wir, teils getrennt, teils sich überschneidend, die Schicksale der vier Mädchen. Jede hat dabei ihre Besonderheit, oder ihr Geheimnis. Alles läuft zusammen im Epilog, beim letztlichen Klassentreffen. Geheimnisse werden gelüftet, Entscheidungen werden getroffen. Und dennoch bleiben ein paar wenige Fäden offen. (Es gibt noch eine Fortsetzung, die wiederum 5 Jahre später spielt - „Diese wilden, wunderbaren Jahre“. Dieses Buch werde ich auch unbedingt lesen!)

Ich weiß gar nicht recht, wo ich beginnen soll – so sehr empfinde ich das Buch als „aus einem Guss“. Zunächst einmal finde ich die Charakterisierung der Mädchen sehr gelungen! Gesellschaftlich gesehen, sind sie sehr unterschiedlich. Aber für den Leser wird schnell klar, dass sie letztlich alle dasselbe wollen. In den 50er Jahren findet nämlich ein Aufbruch im weiblichen Selbstbewusstsein statt! Annabel Jones, mit kupfernem Haar und geheimnisvoller Aura, ist die Vorreiterin dieser Bewegung. Wird aber dafür geächtet. Denn in den 50ern war frau noch nicht so weit, sich einfach zu nehmen, was sie wollte. Dann wäre da Chris, die New Yorker Intellektuelle. Sie flüchtet sich geradezu in die Bildung, um ihrem verqueren Elternhaus zu entkommen. Ihre Mutter ist der Trunksucht verfallen. Emily ist Jüdin, sehr wohlbehütet, neureich und verschüchtert. Sie betrachtet ihre Ausbildung als eine Möglichkeit, gesellschaftlichen Anschluss zu finden. Und Daphne? Daphne ist das „Golden Girl“, dem immer alles gelingt. Sogar den begehrtesten Jungen angelt sie sich. Aber sie leidet insgeheim unter diesem „perfekten“ Image.

Beachtlich finde ich auch, wie geschickt die Autorin Zeitgeschichte mit den jeweiligen Erzählabschnitten verbindet. Es läuft eher im Hintergrund mit, prägt aber dennoch unsere vier Heldinnen. In den 50ern sind es die Autos, die biedere Kleidungsweise. Das typische Verhalten zwischen Jungen und Mädchen (erste Einladung, erster Kuss, und so weiter). Die typischen Partygetränke. Die Musik. Die alles beherrschende Moral.In den 60ern merkt man dann schon, dass sich etwas geändert hat. Es gibt Studentenunruhen; man diskutiert über den Vietnamkrieg. Und auch das Thema „Scheidung“ wird salonfähiger. Jeder hat Affären; jeder geht zum Psychiater. Und man hört nun die Beatles; nicht mehr Noel Coward…! In den 70ern dann wankt das festgefügte Weltbild endgültig. Neue Berufswege werden möglich. Die Haare werden länger, man kann nicht mehr unbedingt zwischen typisch weiblich und typisch männlich unterscheiden. Nixon und Watergate sind bereits Geschichte. Und die strengen „Benimmregeln“ im College sind endlich abgeschafft, wie unsere Vier entdecken…

Beim Lesen der Leseprobe hatte ich vermutet, dass die Autorin insgeheim am meisten mit Emily, der schüchternen Jüdin, sympathisiert. Doch diese Ansicht muss ich nun revidieren. Denn auch Emily bleibt nicht verschont von schweren Zeiten. Jede unserer vier Freundinnen scheitert auf irgendeine Weise, und gerade das hat mich ergriffen. Annabel wird betrogen und hintergangen. Chris muss lange um ihre Liebe kämpfen. Daphne hat ein Geheimnis vor ihrem Ehemann. Und Emily zerbricht fast an ihren eigenen Ansprüchen, muss zeitweise sogar in die Psychiatrie. Nein, niemand wird hier von der Autorin bevorzugt. Sie hat ihre Sympathien gleichmäßig aufgeteilt. Die Botschaft scheint denn auch eher ideeller, und nicht gesellschaftlicher Natur zu sein. Man denkt am Ende sehr viel nach über die Bedeutung von Freundschaft und von Idealen. Wie es eben bei Klassentreffen üblich ist! Von daher hätte ich den Originaltitel lieber beibehalten.

Sicher, man könnte das Buch auch kritisieren. Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr unbedingt nachzuvollziehen, warum eine Frau in den 50ern unbedingt heiraten wollte. Warum Homosexualität oder zum Beispiel eine Minderheiten-Religion ein solches Problem waren. Am wenigsten habe ich Daphnes Problem verstanden (ohne zu spoilern, kann ich sagen, dass es medizinischer Natur war). Heute ist das absolut keine Katastrophe mehr! Aber gut, die 50er sind die Zeit gewesen, als die Autorin selber jung war (sie wurde in den 30ern geboren). Von daher wird sie die Atmosphäre eben noch deutlich im Gedächtnis gehabt haben.

Ich war traurig, als das Buch zu Ende ging…! Es hatte sich Zeit gelassen, einen breiten Bogen aufzufächern. 520 Seiten sind für eine solche Geschichte schon viel…! Dennoch war ich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Es herrschte eine geruhsame Erzählweise vor, ohne viel Action, aber mit viel Menschlichkeit. Das eine oder andere „Staubkorn“ hat dabei nur zum übrigen Charme beigetragen. Die vier Mädchen sind zu meinen persönlichen Freundinnen geworden. Und schließlich hatte auch ich schon Klassentreffen, und kann die gewälzten Lebensfragen gut nachvollziehen. Nur einen einzigen Punkt würde ich wirklich als großen Makel dieses Buches bezeichnen: dass die deutsche Ausgabe nur im Taschenbuch erscheint! Das wird dem eigentlichen „Format“ der Geschichte nicht gerecht.

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