Rezension zu "Marcel Proust" von Ronald Hayman
Proust war ein seltsamer Geselle: verzogen, voller Marotten und Schrulligkeiten, verklemmt, kurios, snobistisch. Jedoch alles Voraussetzungen, die er zum Schreiben seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" unbedingt brauchte.
Zunächst Jura und Politik studierend, leider durch die mündliche Jura-Prüfung fallend, wollte Proust eigentlich immer nur Schreiben und Lesen. Doch so recht lies ihn keiner gern gewähren. Natürlich - brotlose Kunst. Sein Vater, ein angesehener Arzt, seine Mutter lieb und den Sohn verhätschelnd. Der Sohn selbst wenig kräftig, von schwacher Konstitution, sich nur indirekt gegen die strengen Eltern zur Wehr setzend. Seine Art der Rebellion geschieht auf dem leisen Weg: hinten herum. Also liest und schreibt der Sohn nur noch nachts, wenn alle anderen - die ihm die Regeln aufzwängen - schlafen; tagsüber zieht Proust alle Vorhänge zu und schläft. Jeder Luftzug löst asthmatische Anfälle aus, insbesondere das Tageslicht. Immer zieht es ihn in die edlen Salons, immer sucht Proust Kontakt zur Oberschicht, die zur Jahrhundertwende seltsam unsicher daherkommt und instiktiv merkt, dass ihre besten Jahre vorüber sind. Proust wird ihre Eigenheiten und ihre Macken, ihre Schrulligkeiten und ihre Dekadenz in seinem Opus nach der verlorenen Zeit zu verarbeiten wissen. -- Haymans Biographie ist großzügig ausgelegt, hinterfragt Proust und seine wirre Lebensphilosophie gerne und immer wieder. Lesenswert, nicht nur für den Proust-Fan, sondern auch für den Liebhaber gelungener biographischer Literatur und der französischen Kultur der Jahrhundertwende.