Um 6.00 Uhr morgens öffnet die junge Studentin Kate die Tür des Zimmers ihres Studentenheims und ein halbnackter junger Mann steht vor der Tür. Seine Erklärung, dass er sich nach dem Duschen in der Gemeinschaftsdusche versehentlich aus seinem Zimmer gesperrt hat, klingt plausibel und Kate lässt ihn rein. Sie wird dafür belohnt werden, denn ihr Kommilitone Max wird von dem Tag an, zu einem unersetzlichen Freund für sie. Er ist der Sohn einer Filmregisseurin und da Kate in der Filmewelt ebenfalls Fuß fassen will, ist sie fasziniert, als Max sie mit zu ihm nachhause nimmt und ihr seine Familie vorstellt, die doch einen ziemlich dekadenten Lebensstil pflegt, während Kate selbst eher aus ärmlicheren Verhältnissen kommt. Doch dann passiert das schier Unaussprechliche, denn Kate wird von einem nahen Verwandten von Max vergewaltigt!
Die ersten hundert Seiten des Buches lesen sich ein wenig wie eine Soap. Das Kennenlernen von Kate und Max und wie sie ihre Studienjahre gemeinsam verbringen sind schon fast kitschig. Sie sind beste Freunde und nicht mehr und man könnte denken, dass die Phrase „dass Männern und Frauen immer der Sex dazwischenkommt“ vollkommener Schwachsinn ist. Warum aus den beiden nie mehr wird, erschließt sich der Leserschaft aber tatsächlich nicht, weil sie eigentlich ein perfekter Match wären. Doch dann passiert ein Ereignis, dass alles bisher Geschehene auf eine harte Probe stellt. Kate wird vergewaltigt und aus der kitschigen Soap wird mehr als echter Ernst. Obwohl Kate versucht mit der Situation alleine klar zu kommen, vertraut sie sich als erster Person Max‘ Mutter Zara an, die vor Jahren auch die gleiche Erfahrung gemacht hat. Kate fühlt sich verstanden und nimmt jedes Hilfsangebot an, dass sie von Zara erhält. Kate verliebt sich auch, aber über allem schwebt das Trauma der Vergewaltigung.
Rosie Price hat ein Thema für ihren Roman gewählt, dass leider noch immer zu sehr „verharmlost“ wird bzw. über das wenig gesprochen wird. Kate sucht die Schuld bei sich und braucht lange um zu erkennen, dass nicht sie die Schuldige ist, sondern dass der Täter der Schuldige ist. Das Trauma zieht sich in ihr ganzes Leben, in ihren Beruf, in ihre Freundschaften und auch auf ihre eigene (körperliche) Wahrnehmung. Die Autorin zeigt sehr ungeschminkt die Situationen auf, in denen Kate überfordert ist und nicht weiß, wohin mit ihrer Verzweiflung. Um sie in den Griff zu bekommen und um „sich selbst wieder zu spüren“, sieht sich keinen anderen Weg als sich selbst zu verletzten. Man kann beim Lesen förmlich spüren, wie sehr Kate leidet und trotzdem versucht ihren Weg zu gehen. Dabei ist Rosie Price aber weit weg von „Alles – wird – wieder – gut“ – Plattitüden. Denn so einfach ist es wahrlich nicht.
Am Schluss kommt es zu einem überraschenden Twist, der einen ziemlichen Riss in Max‘ Familie anrichtet. Dabei ist die Familie mehr als „instabil“. Ein Onkel von Max ist Alkoholiker und hat immer wieder sehr depressive Phasen. Der andere Onkel ist so sehr selbstverliebt, dass er wenig Rücksicht auf andere nimmt und die Ehe seiner Eltern scheint ebenfalls nur mehr auf dem Papier zu stehen. Ein familiäres Konstrukt also, das nicht viel braucht, um in sich zusammenzustürzen. Mit der Überraschung am Ende war es nicht einmal „nicht viel“, sondern fast schon eine Naturgewalt, der die Familie in zwei Lager teilt.
Alles in Allem ein Debüt, dass sich sehen und lesen lassen kann, auch wenn es zwischendurch ein paar Längen gab. Trotzdem bin ich auf weitere Werke dieser jungen Autorin gespannt.