Im amerikanischen Original heißt dieses Buch "Willpower. Rediscovering the Greatest Human Strength". Und dieser Titel trifft den Inhalt nach meiner Einschätzung besser als der deutsche, der mehr verspricht als das Buch letztlich bietet.
Vielleicht erwartet man nämlich, dass man in diesem Buch endlich lernt, diszipliniert zu agieren. Der Text will zwar Ratschläge geben und tut das auch hin und wieder, doch eigentlich ist er mehr ein populärwissenschaftlicher Bericht über die Forschungen des Psychologen Roy Baumeister und seiner Schüler, aufgeschrieben vom Wissenschaftsjournalisten John Tierney.
Natürlich muss man die Willenskraft von Menschen nicht wiederentdecken. Willensstarke Menschen hat es immer gegeben. Sie setzten sich eine Aufgabe und verfolgten dieses Ziel mit eiserner Disziplin. Doch Willenskraft ist andererseits eine seltene und bei Partnern nicht unbedingt erwünschte Charaktereigenschaft. Wir bevorzugen Humor, Treue, Verständnisbereitschaft und andere uns nützliche Tugenden beim anderen. Willenskraft hätten wir hingegen lieber selbst.
Während also die Willenskraft von Menschen immer da war, verlor sie die Psychologie aus den Augen. Andere Themen, und hier vor allem die vielen Freudschen Hypothesen, zogen die Aufmerksamkeit der Psychologen in ihren Bann. Nun ist Dank Roy Baumeister - so lesen wir es jedenfalls in diesem Buch - endlich die Willenskraft wieder in den Fokus der psychologischen Aufmerksamkeit geraten. Nur Weniges in diesem Buch erstaunt wirklich, weil es sich entweder aus der Erfahrung oder dem gesunden Menschenverstand ergibt.
Baumeisters Leistungen, für die er in seinem Buch immer wieder in der dritten Person gepriesen wird, erstrecken sich vor allem im praktischen wissenschaftlichen Beweis dieser einfachen und relativ plausiblen Aussagen. Willenskraft und in ihrer Folge Selbstdisziplin entfalten sich erst dann, wenn man von einem Ziel im tiefsten Inneren überzeugt ist. Auf diese Grundvoraussetzung machen die Autoren mehrfach aufmerksam. Außerdem benötigt man eine funktionierende Methodik, um dieses Ziel zu erreichen, die man dann diszipliniert durchziehen muss.
Und genau an dieser Stelle drehen wir uns im Kreis, aus dem auch die Autoren keinen wirklichen Ausweg für jedermann aufzeigen können, weil es ihn nicht gibt. Bei willensstarken Menschen vermuten sie genetische Vorteile in dieser Hinsicht. Dann empfehlen sie an verschiedenen Stellen ein Training der Selbstdisziplin, beispielsweise durch Sport, durch Rituale oder durch anderen äußeren Druck. Im Grunde läuft dies alles stets darauf hinaus, über den Weg beständiger Wiederholungen einen Zustand zu erzeugen, den wir dann nicht mehr missen wollen.
Nach einer interessanten Einleitung erläutern die Autoren im ersten Kapitel, dass Willenskraft Energie verbraucht. Ihre Benutzung schwächt sie demzufolge. Danach folgt im zweiten Kapitel die erstaunliche Mitteilung, dass Baumeister und seine Schüler erst 2011 im Experiment zu der Erkenntnis gelangt sind, dass Glukose jedenfalls kurzfristig die Willenskraft wieder stärkt. Vermutlich haben Sportwissenschaftler das schon viel früher gewusst. Daraus folgt natürlich, dass man nicht körperlich geschwächt in Prüfungen oder Stressituationen gehen sollte, weil die Körperintelligenz bei Schwäche Glukose zur Erhaltung des Gesamtsystems aus dem Gehirn abzieht.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Festlegen vernünftiger, sich nicht widersprechender Ziele und einer sogenannten To-Do-Liste, also mit den Grundvoraussetzungen selbstdisziplinierten Handelns. Interessant erschien mir in diesem Zusammenhang die Erwähnung der GTD-Methode von David Allen, der Unsummen damit verdient, in den Büros von Managern ein dauerhaftes Ordnungssystem zu installieren.
Das folgende Kapitel wird allen eine Erleuchtung sein, die schon einmal von einem Verkäufer zu einem sinnlosen Kauf überredet worden sind. Hier geht es um das Phänomen der Entscheidungsmüdigkeit. Mit der Selbstüberwachung (übrigens auch durch eigens mit dieser Idee gegründete Unternehmen) beschäftigt sich das fünfte Kapitel. Dass sich der Wille trainieren lässt, verrät uns das sechste Kapitel. Am besten geht das in Gruppen und durch Anleitung. Experimente beweisen nach Ansicht der Autoren, dass ein solches Training tatsächlich nachhaltige Ergebnisse liefert.
Selbstdisziplinierte Menschen automatisieren ihr Verhalten und benötigen deshalb kaum noch Willenskraft dafür. Das verrät uns das siebte Kapitel. Dort lernen wir außerdem, dass enges, konkretes und gegenwartsbezogenes Denken die Selbstdisziplin beeinträchtigt, während breites, abstraktes und zukunftsbezogenes Denken sie fördert.
Religiöse Bindungen helfen bei der Selbstdisziplinierung, weil man sich durch eine höhere Macht beobachtet fühlt. Sehr vorteilhaft für eine Selbstdisziplinierung sind darüber hinaus Gebete und Meditationen. Insbesondere für Letzteres benötigt man aber zunächst Selbstdisziplin, was wieder auf Anleitungen in Gruppen führt. All das lernt man im achten Kapitel.
Der Kindererziehung widmet sich das vorletzte Kapitel. Da es sich hierbei um eine Fremddisziplinierung handelt, wird man selbstverständlich umso erfolgreicher sein, je mehr man das vorlebt, was man bei Kindern erreichen möchte. Klare Ziele, einfache und überprüfbare Regeln gehören zur Kindererziehung ebenso wie ein einsichtiger Zusammenhang zwischen eventuellen Strafen und den entsprechenden Regelverstößen, lernen wir hier.
Ohne die leidigen Diäten kommt natürlich auch ein Buch über Willensstärke nicht aus. Die Autoren behaupten, dass Übergewicht nichts mit schwachem Willen zu tun hat. Diesen zweifelhaften Schluss ziehen sie daraus, dass diszipliniert eingehaltene Diäten in der Regel nichts bringen, was sie richtig begründen. Das aber sagt doch nur, dass eine blödsinnige Methode auch durch Willensstärke nicht genial wird, keinesfalls aber, dass zwischen Übergewicht und mangelnder Willensstärke kein Zusammenhang besteht.
Am Ende des Buches vermitteln uns die Autoren noch einen "Ausblick", in dem sie ihre Erkenntnisse mehr oder weniger zusammenfassen.