Cover des Buches Truggestalten (ISBN: 9783869711485)
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Rezension zu Truggestalten von Rudolph Herzog

Die Geister der Vergangenheit in Berlin

von M.Lehmann-Pape vor 7 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 7 Jahren
Die Geister der Vergangenheit in Berlin

„Sie haben ein Problem mit einem Ifrit“.

Was das ist, warum dafür ein Hahn in der Küche der neu bezogenen Altbauwohnung nötig sein wird und dass ein solcher „Ifrit“, falls es das gibt, ja irgendwoher kommen muss, dass erfährt der junge und frische Mieter nicht so richtig.

Wenn aber eine Küchentür einem den Finger bricht, dann läuft Herzog durchaus in „Stephan King“ Richtung auf. Weniger, was den Effekt des Gruselns angeht, wohl aber, was diese „Zwischenwelt“ angeht, die „Geister-Ebene“.

Allerdings, das ist nicht die Hauptrichtung dieser einzelnen und doch miteinander verbundenen Geschichten aus und über Berlin, damals und heute und wie das miteinander verbunden sein könnte. Auf dieser Ebene. Es sind „Rand-Geister“, die ihre Rolle spielen, allerdings nur zur Illustration dessen, was an leidvoller Geschichte und aktueller Atmosphäre in Berlin anzutreffen, vorherrschend ist.

„Ich habe daher den Frieden, der wieder in meine Wohnung einkehrte, nie mit den Besuchern in Verbindung gebracht“.

Wohl aber hat dieser Friede, dauerhaft, auch damit zu tun, dass der junge Mann gegenüber „Rakete“, alt 68er, Yoga Guru, Frauenversteher mit Harem und doch letztlich ein ziemlich kleines Licht, nimmt man die „Anbetung“ durch eine bestimmte Sorte von Leuten mal weg, am Ende sich ganz anders stellen wird. Und nicht nur er als neuer Mieter, auch eine „Szene-gestählte“, nun aber alternde Frau wird einen Strich ziehen können.

Solche Geister mögen ihr Unwesen treiben aus den „wilden Jahren“ heraus noch, doch wenn der alte Hausmeister, der der Gentrifizierung einfach trotzt, indem er für „seine Mieter“ auch nach der „Verschönerung“ absolut da ist, nun eben nicht angestellt und kostenfrei für alle, wenn dieser alte Mann mit einer Kerze vor einem Loch im Innenhof steht, das durch den Bau eines Spielplatzes entstanden ist. Eine Kerze für jene, die dort Zwangsinterniert waren, die starben (und das war nicht nur eine Gruppe von Menschen, da starben so manche andere auch) und damit seine Hausmeistertätigkeit, sein Leben beendet, dann kann einem schon ein Schauer über den Rücken fahren, so eindrücklich und sprachlich versiert führt Herzog den Leser in diese Atmosphäre hinein.

Da in der dortigen Wohnanlage auch einer der Ich-Erzähler lebt, und dieser in einer dunklen Ecke des Hofes wie von festen Händen gepackt sich gerade noch losreißen kann, bevor er on einen Verschlag gezerrt werden würde, ist klar, dass in diesem Berlin Kräfte vorhanden sind, die eben an der Gegenwart zerren, die nie wirklich beerdigt wurden, die das Leben in der Gegenwart weiterhin, diffus und nicht klar benennbar, mitbestimmen.

Was Herzog wunderbar in Symbole zu fassen versteht, was er ganz alltäglich in die Geschichten dieser Leute, miteinander verwoben, zudem spannend und unterhaltsam erzählt und immer einen doppelten bis dreifachen Boden für seine Geschichten in Petto hat.

Alles, was da teils auch an skurrilen Charakteren gerade das Leben gestaltet, in einem vordergründig individualistischen Lebensstil, ist doch, bei Lichte betrachtet, gar nicht so schrill und bunt, wie es scheint und ist, vor allem, auf „geschichtsträchtigem Boden“ immer auch angereichert mit dem, was in Berlin war und sich nicht abschütteln lässt.

Wunderbare Gestalten, ein anregender, knapper, auf den Punkt treffender Ton, eine „Zwischenwelt“, die nicht ängstigt, sondern eher verblüffend deutlich macht, dass eben nicht immer „alles neu“ ist, im Gegenteil und eine Entzauberung all der rasanten Lebensgeschwindigkeit der Stadt, in der viele der Beteiligten als „Truggestalten“ enttarnt werden und die eine hervorragende Lektüre im Gesamten ergibt.

„Es gibt keine Geister“!
„Dann nenn es Vergangenheit“!
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