Cover des Buches Und in mir der unbesiegbare Sommer (ISBN: 9783551582546)
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Rezension zu Und in mir der unbesiegbare Sommer von Ruta Sepetys

Eine andere Seite des Zweiten Weltkriegs

von Shiku vor 11 Jahren

Rezension

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Shikuvor 11 Jahren
Litauen, 1941: Es geht alles sehr schnell. In einem Moment schreibt Lina an einem Brief für ihre Cousine, im nächsten Moment stehen sowjetische Soldaten vor der Tür, die der Familie einige Minuten zum Packen geben und sie dann zusammen mit anderen Litauern wegbringen – niemand weiß wohin. Linas Familie geht es wie vielen zu dieser Zeit; jeder, bei dem der Ansatz des Widerstandes erahnt wird, wird deportiert und viele überstehen allein die Zugfahrt, über lange Zeit hinweg eingepfercht in Viehwagons mit nur wenig zu essen und zu trinken, nicht. Weit fernab der Heimat aber klammert sich das junge Mädchen an die vage Hoffnung, eines Tages ihren Vater wiederzufinden, nach Hause zurückkehren zu können, zu überleben – trotz des Hungers, trotz der Kälte, trotz der Unmenschlichkeit.
Litauen, 1941: Es geht alles sehr schnell. In einem Moment schreibt Lina an einem Brief für ihre Cousine, im nächsten Moment stehen sowjetische Soldaten vor der Tür, die der Familie einige Minuten zum Packen geben und sie dann zusammen mit anderen Litauern wegbringen – niemand weiß wohin. Linas Familie geht es wie vielen zu dieser Zeit; jeder, bei dem der Ansatz des Widerstandes erahnt wird, wird deportiert und viele überstehen allein die Zugfahrt, über lange Zeit hinweg eingepfercht in Viehwagons mit nur wenig zu essen und zu trinken, nicht. Weit fernab der Heimat aber klammert sich das junge Mädchen an die vage Hoffnung, eines Tages ihren Vater wiederzufinden, nach Hause zurückkehren zu können, zu überleben – trotz des Hungers, trotz der Kälte, trotz der Unmenschlichkeit.


Wenn wir an die Zeit des Zweiten Weltkrieges denken, geht es immer entweder um Deutschland oder die Alliierten. Auch wenn die Rollenverteilung längst nicht mehr so klar ist wie einst – auf deutscher Seite die bösen Nazis gegen die Guten –, so ändert sich der Fokus selten allzu sehr. Immerhin zieht nicht mehr jeder fragend die Augenbrauen hoch, wenn über Gulags gesprochen wird, die zwar nicht das Gleiche wie deutsche Konzentrationslager, aber doch sehr ähnlich sind. Dies ist auch das Schicksal, das Lina erwartet und damit rückt Ruta Sepetys den Blick auf ein Land, das hierzulande, und sicherlich auch an vielen anderen Orten, gern übersehen wird. Litauen ist klein, was kümmert uns Litauen? Der Geschichtsunterricht ist bereits überfüllt, vor allem mit der deutschen Seite des Zweiten Weltkrieges, so dass man es kaum in die Neuzeit schafft und kurz nach dem Mauerfall enden muss. Doch wird Litauen erwähnt? Wird das Vorgehen Stalins behandelt? Trotz guter Lehrer kann ich das nicht bejahen; und auch wenn ich es gut finde, dass man sich wenigstens in manchen Schulen sehr ausführlich mit dem Thema und seinen Schrecken auseinandersetzt, und ich dem zustimme, dass wir hier besonders über dieses Land Bescheid wissen sollten, so gehen manche Aspekte verloren, obwohl sie angesprochen werden müssten.

Die Autorin greift einen dieser Aspekte auf, und das tut sie aus der Sicht eines 15-jährigen Mädchens, mit dem sicherlich viele Leser zurechtkommen können. Dazu gehört allerdings auch, dass mir Lina auf den 300 Seiten stets ein wenig fern blieb – ganz so, als wäre sie einer der anderen Charaktere, die immer in der dritten Person erwähnt werden. Man lernt sie alle nur ansatzweise kennen; nicht so wenig, dass mir egal wäre, was mit ihnen passiert. Unter den gegeben Umständen ist das eigentlich unmöglich, und sollte es doch der Fall sein, liegt der Fehler beim Leser, nicht der Autorin. Aber es ist doch etwas anderes, wenn man sich um jemanden allgemein als Mensch sorgt, einfach weil man niemandem solche Qualen wünscht, oder ob man tatsächlich um jemanden bangt, mit dem man sich identifizieren kann, dem man nahe gekommen ist.

Auch was die Zustände während der Reise und in den Lagern angeht, hatte ich ab und an das Gefühl, dass das Buch bisweilen gar zurückhaltend ist. Ruta Sepetys vermittelt einen Eindruck, doch manchmal war ich beinahe überrascht, als sie bestimmte Dinge als Konsequenz der Behandlung nannte, obwohl sie logisch sind. Dass die Menschen beispielsweise abmagern, weil sie kaum Nahrung erhalten, sollte nicht überraschend sein und ist es auch nicht im eigentlichen Sinne. Allerdings kam es im Text zuvor nicht so deutlich rüber wie es könnte – auch ich fordere nicht, dass en detail das Leid der Menschen dargelegt wird, und die Schrecken kommen herüber, das ja. Trotzdem gab es wenige Szenen, die mich in dieser Hinsicht ein wenig aus der Bahn warfen.

Das ist aber auch alles, was ich Negatives über das Buch sagen kann, und allzu sehr fällt es nicht ins Gewicht. In einem sehr schlichten, aber auch sehr schönen Schreibstil präsentiert uns Ruta Sepetys eine furchtbare Geschichte, und das Wissen, dass all das echt ist, macht es durch seine Grausamkeit nur irrealer. Schon zu Beginn gibt es Szenen, die mich schlucken ließen und wütend machten ob des Unsinns des Verhaltens, das an den Tag gelegt wurde. Auch später musste ich immer wieder innehalten, weil „Und in mir der unbesiegbare Sommer“ sehr, sehr traurig macht, besonders wenn man versucht zu verstehen, warum so etwas geschehen kann.

Es gab aber auch durchaus Szenen, die mich zum Lächeln brachten – letzten Endes ist es auch ein Buch über Menschen, die tatsächlich, manchmal auf ihre ganz eigene Art und Weise, gut sind oder es zumindest sein wollen, auch wenn sie ab und an stolpern sollten. Es könnte bei der Thematik so schnell gehen, dennoch gibt es hier kein Schwarz und Weiß. Der Originaltitel umschreibt es am besten: „Between Shades of Gray“. Es gab Gefangene, die mit der Sowjetunion zusammenarbeiteten, doch sind sie deswegen böse? Haben sie vielleicht nicht ihre Gründe, die weniger egoistisch sind, als manch einer glaubt? Genauso gibt es hier Russen, die helfen, wenn sie können, die im System gefangen und doch keine Monster sind. Dagegen gibt es Amerikaner, sonst oft die gefeierten Helden, die nicht helfen – weil sie das Leid nicht sehen oder nicht sehen wollen?
Es gibt etliche Grauschattierungen, und jeder, bis auf weniger Ausnahmen, hat hier seine eigene, und manche davon sind sehr nahe am Weiß daran. Linas Mutter zum Beispiel, die mir mit ihrem Mut und ihrer Kraft ein wenig das Herz gebrochen hat.

Das Ende ist interessant. Es ist weder abgeschlossen noch offen, weder hoffnungsvoll noch hoffnungslos – eigentlich ist es alles zusammen. Das Allerwichtigste wird geklärt, doch genauso viel bleibt verborgen, und in mancher Hinsicht mag man seinen Glauben in die Menschheit behalten, in anderer geht er aber verloren. Diese Zweischneidigkeit macht es letzten Endes so übel, denn genau so war es, ist es und wird es immer sein mit uns Menschen. Schlimme Dinge werden geschehen und manch einer wird nie wissen, was mit den Geliebten geschehen ist. Danach wird es weitergehen, sowohl mit den kleinen Wundern als auch den Enttäuschungen. Und genau das weiß „Und in mir der unbesiegbare Sommer“, trotz seiner kleinen Fehler, zu zeigen.


„Und in mir der unbesiegbare Sommer“ von Ruta Sepetys ist ein berührendes Werk, das mir nicht ganz so nahe ging wie es hätte können. Die Autorin widmet sich einem Teil der Geschichte, der oft übersehen wird, aber nicht werden sollte. Für mich war es ein Buch über Gut und Böse, oder vielmehr die Vermischung von beiden, sowohl was Menschen als auch die Menschheit an sich betrifft. Jeder sollte aber selbst mal hineinlesen und sehen, was das Buch einem zeigen kann, denn ohne Erkenntnis – und ohne Tränen – wird man hier nicht zurückgelassen.
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